Wieder-Spielen
Wie gesagt: Ein Spiel ist in erster Linie ein System von Regeln. Spiele sind zum (immer wieder erneuten) Spielen gedacht. Eine hohe Wiederspielbarkeit wird bei den besseren Gattungsvertretern dabei entweder durch den geschickten Einsatz von “Input Randomness” (Zufallsfaktoren beim Aufbau bzw. Setup des Spiels) erreicht (z.B. Ascension) oder schlicht durch einen ausreichend großen und interessanten Entscheidungsraum (d.h. es gibt nicht oder zumindest nicht offensichtlich die beste Aktion), der in jeder Partie aufs Neue kreatives Vorgehen forciert oder sogar erfordert (z.B. Puerto Rico). Häufig wird natürlich auch eine Kombination der beiden eingesetzt (z.B. Eclipse, Pandemic, Small World). Darüber hinaus darf selbstverständlich der Mehrspieleraspekt nicht vergessen werden, allerdings gilt das Beschriebene genauso für Solitaire- (z.B. Phantom Leader) oder sogenannte “Multiplayer-Solitaire”-Spiele (z.B. Dominion).
Wie die gewählten Beispiele schon andeuten: Die klassischen Eigenschaften eines Spiels sind heutzutage insbesondere bei Brettspielen zu finden. Diese sind ihrer Natur nach auf die reine Spielmechanik fokussiert und versuchen, durch eine spezifische Komposition der Gameplay-Komponenten ein robustes System zu erschaffen, das möglichst mit einer Spieltiefe ausgestattet ist, die es lohnenswert macht, dieses System über sehr viele Partien – im Idealfall über Jahre – hinweg zu ergründen. Genau dies ist die hohe Kunst des “Gamedesigns“.
Wider-Spiele
Auf einer ganz anderen Seite stehen die digitalen “Spiele” bzw. deren momentaner Zustand. Videospiele werden in aller Regel zum Durchspielen konzipiert. Die Spieler sollen das Spiel in seiner ganzen Breite erfahren. Anschließend ist es kaum mehr interessant, sich weiter damit zu beschäftigen. (Eine Folge der finanziellen Erfolge der Branche? Schließlich will bei BMW, Toyota, Mercedes und Co. auch keiner, dass Autos potenziell ewig halten.) Spiele verkommen häufig zu stark geskripteten Film-“Spielen” mit jeder Menge Zwischensequenzen, vorgefertigten Levels mit Schlauchgängen und einer an sich völlig oberflächlichen und uninteressanten Spielmechanik mit – bestenfalls – vorgegaukelter Entscheidungsfreiheit.
Interessanterweise funktionieren diese “Spiele” dann auch besser, je weniger “Spiel” tatsächlich enthalten ist (z.B. Heavy Rain, das zumindest einigermaßen konsequent ist, als reiner Film jedoch wahrscheinlich noch viel besser wäre). Häufig ist das Gameplay selbst qualitativ derart unterirdisch, dass es nur noch als störend empfunden wird. Effektiv fungiert das “Spiel” dann nur noch als Zeitfresser zwischen den – möglicherweise tatsächlich spannenden – Zwischensequenzen und Storyfortschritten. Man quält sich durch Stunden uninteressantes “Spiel”, um mit einem Film belohnt zu werden. Da stellt sich doch die Frage, ob man da beim Entwickler nicht zum falschen Medium gegriffen hat bzw. das gewählte Medium völlig falsch einschätzt. Das Problem: Zumeist ist die Handlung in Videospielen kaum besser als der Rest. Letztlich bekommt der Konsument also ein “Videospiel” genanntes Stück Software, das weder ein gutes Spiel noch eine gute Story enthält. Da liegt es doch nahe, dass sich die beiden Teile vielleicht nicht gerade gegenseitig befruchten, sondern – im Gegenteil – einander schaden: Spiel versus Story. Hingegen besteht prinzipiell großes Potenzial in der Verbindung von Story und Puzzle bzw. (dynamisch generierter) Story und Simulation (z.B. King Of Dragon Pass). Entwickler sollten sich lediglich darüber im Klaren sein, was sie tun bzw. erschaffen möchten. Das ist momentan viel zu häufig leider so gar nicht der Fall.
Ausnahmen bestätigen die (Spiel-)Regel
Zuletzt gab es immer wieder Vorstöße von einer (Spiel) zur anderen (Story) Seite und wieder zurück. Mice and Mystics ist beispielsweise ein Brettspiel, das den Fokus dennoch auf eine mitgelieferte Story richtet, die zwischen den eigentlichen Partien verlesen wird (wobei sicher streitbar ist, wie interessant das eigentliche Gameplay dabei ist). Umgekehrt erschienen mit Shifts und Battle Of The Bulge kürzlich strategische Spiele für iOS, die sich ganz klar auf Mechanik und Wiederspielbarkeit konzentrieren. Passenderweise werden diese dann auch als (originale) “digitale Brettspiele” bezeichnet – ebenso wie das kürzlich erwähnte 7 Grand Steps. Zudem soll in Kürze Keith Burguns Auro für alle gängigen Systeme erscheinen und könnte Vorreiter für die Wiederentdeckung digitaler Spiele werden. Wollen wir es hoffen!