Vorbemerkung 1: Es geht tatsächlich um Spiele. Genauer gesagt um digitale Single-Player-Spiele. Natürlich wären 85 Stunden lange Fantasy-Simulationen ohne Quicksave bzw. jedenfalls persistente Speicherstände ein schlechter Scherz. Das Problem ist, dass regelmäßig nicht konsequente Simulationen erscheinen, sondern Spiele bzw. Software mit spielerischen Elementen, denen die Simulation als Diktator aufgezwungen wurde. Eng damit verbunden ist das Problem storybasierter “Spiele”: Der “Spieler” soll natürlich die Handlung (vollständig) erleben, also muss er auch jederzeit laden können. Der (Un-)Sinn derartiger Systeme ist jedoch einen eigenen Artikel wert.
Vorbemerkung 2: Es geht nicht um sogenanntes “Save-On-Quit”. Natürlich sollten Spieler jederzeit aufhören und später an exakt derselben Stelle weitermachen können, selbst wenn eine Partie nur fünf Minuten dauert.
Das ganze Leben ist ein… Spiel?
Quicksave in Spielen
Die zentrale Qualität von Spielen ist es, die Spieler vor schwierige (d.h. uneindeutige und bedeutsame) Entscheidungen zu stellen. Genau dadurch erlangen sie ihren Wert für die menschliche Intelligenz: Sie schulen uns als Denker.
Was tut eine Quicksave-Option bzw. die Möglichkeit, jederzeit einen beliebigen Spielstand zu laden einem solchen System an? Sie vernichtet es komplett. Jederzeit kann jede beliebige getroffene Entscheidung rückgängig gemacht und ein anderer Weg ausprobiert werden – und zwar völlig ohne entstehende Nachteile, d.h. es ist sogar eine dominante Strategie (Nebenbei: Ein gutes Spiel belohnt nie einen uninteressanten Spielstil; Stichwort: Grinding). Dadurch verliert jede mögliche Entscheidung offensichtlich ihre Bedeutsamkeit (denn sie hat ja gar nicht die resultierenden Konsequenzen, wenn man es eben nicht möchte). Darüber hinaus gibt es in diesen Systemen auch keine Uneindeutigkeit mehr: Im Zweifelsfall wird eben jede Möglichkeit ausprobiert und die jeweiligen Konsequenzen werden analysiert. Dann wird einfach neu geladen und die beste Möglichkeit ausgewählt, denn der Spieler weiß ja nun, was passieren wird.
Effektiv werden in “Spielen” mit Schnellspeicherfunktion überhaupt keine Entscheidungen mehr getroffen. Sie degenerieren zum bloßen Raten und Ausprobieren bzw. zu reinen Trial-And-Error-Übungen: Spieler springen im Netzwerk der Möglichkeiten hin und her bis sie einen Weg zum Sieg finden (Übrigens: Wenn diese “Spiele” Fantasy-Simulationen wären, sollten sie dann überhaupt eine Gewinnbedingung haben? Und wenn sie Spiele wären…). Spiele brauchen Entscheidungen mit permanenten Konsequenzen. Sonst sind es keine Spiele!
“Möchten Sie diese Software zum Spiel machen?”
(aus Dungeons Of Dredmor)
Einspruch: “Dann speicher eben einfach nicht!”
1. Durch diese neue Regel (eine sogenannte “House Rule”) entsteht effektiv ein anderes Spiel. An der qualitativen Bewertung des ursprünglichen Spiels ändert dies prinzipiell natürlich nichts. Noch einschlägiger ist jedoch der folgende Punkt.
2. Spiele mit Speichersystemen sind von vornherein und bewusst mit der Möglichkeit zur Ausnutzung dieses Systems durch die Spieler designt worden. Große Rollenspiele mit Unmengen an erzählerischen Elementen (z.B. Baldur’s Gate) oder kollektionsbasierte Systeme, die auf dem persistenten(!) Ansammeln von Stärke, Ressourcen oder sonstigen Statussymbolen basieren (z.B. Diablo, Farmville), wären ohne Spielstände bzw. mit permanenten Konsequenzen schlicht und ergreifend kaputt (im Prinzip sind das die meisten modernen “Videospiele” ohnehin, die Flicken werden aber von allerlei nett anzuschauendem Klebeband zusammengehalten).
Ein Lichtblick
Dass es auch anders geht, beweist aktuell 7 Grand Steps. Tatsächlich kann es in einem Spiel auf sinnvolle Art und Weise Speicherstände geben, wenn diese mit der Kernmechanik verknüpft und nicht völlig losgelöst vom eigentlichen System sind. Und nicht nur das: Mousechiefs neuestes Werk gewinnt durch sein “Speichersystem” sogar jede Menge interessante Entscheidungen hinzu.
So geht’s! (7 Grand Steps)
In 7 Grand Steps führt der Spieler eine Familie über viele Generationen hinweg durch mehrere Zeitalter (mehr Details zum Spielablauf hier). Beim Übergang zur Folgegeneration muss sich für einen Nachfolger als Familienoberhaupt entschieden werden. Nun können Familienmitglieder aber durch verschiedene Ereignisse sterben. Sollte eine aktuelle Generation dadurch komplett ausgestorben sein, muss ein Bruder oder eine Schwester des zuvor gewählten Familienoberhauptes ran usw. Das Interessante daran: Es liegt in der Hand des Spielers, ob es überhaupt mehrere Geschwister gibt. Neben dem Vorteil des Quasi-Speicherstandes hat dies nämlich auch einige Nachteile: Damit die Kinderchen als Nachfolger überhaupt taugen, müssen sie jede Runde mit Ressourcen versorgt werden. Zwar ist es prinzipiell möglich, sich auch bei mehreren Kindern nur auf das erstgeborene zu konzentrieren, dies hat aber den Neid und nach einer Weile offenen Hass der Geschwister zur Folge, was diverse Nachteile im weiteren Spielverlauf mit sich bringt. Zudem ist es natürlich entsprechend schwierig – sollte es tatsächlich dazu kommen – mit einem der Nichtskönner-Kinder weiterzuspielen. Optimalerweise werden also alle Kinder gleich behandelt. Das kostet dann aber auch mehr und kann unter Umständen die ganze Familie an den Rand des Ruins bringen. Somit hat 7 Grand Steps tatsächlich ein Speichersystem, ohne dabei seine Eigenschaften als Spiel der Lächerlichkeit preiszugeben. Im Gegenteil: Es gewinnt dadurch sogar an Qualität!
Einmal mehr ist die Lehre, die es zu ziehen gilt: Gamedesigner sollten absolut gar nichts als gegeben hinnehmen und sich Gedanken über jeden einzelnen Bestandteil ihrer Systeme machen! “Design von Grund auf, beginnend bei Null” lautet die Devise!
Ich benutze Quicksaves zwar auch, allerdings nicht um Entscheidungen rückgänig zu machen, sondern um vor einem Bossgegner abspeichern zu können, um nicht den ganzen Weg nochmal laufen zu müssen.
Das wäre ja auch eine Frechheit. Als Spieler gibt mir der Macher des Spiels implizit das Versprechen, meine Zeit so effizient wie möglich mit Unterhaltung zu füllen. Spiele, die die Zeit der Spieler verschwenden, sind unverschämt.
Die Sache bei deinem Beispiel ist aber, dass es sich höchstwahrscheinlich um eine Simulation bzw. ein Puzzle handelt, in dem spiel-ähnliche Momente (wie der Bosskampf) entstehen. Da stellt sich die Frage, ob das ganze System nicht besser damit dran wäre, sich auf eine Sache zu konzentrieren: Die Simulation einer (Fantasy-)Welt, das Stellen kniffliger Aufgaben mit eindeutiger Lösung oder eben das Spiel, d.h. z.B. taktisch anspruchsvolle Kämpfe, in denen uneindeutig Entscheidungen getroffen werden. Die meisten modernen “Videospiele” stecken in einem Zustand irgendwo zwischen zig verschiedenen Systemen mit ganz unterschiedlichen Formen der Interaktion fest und sind dabei zumeist schrecklich ineffizient. Würden sie da raus kommen, hätten wir schon viel gewonnen…