Muss Gameplay fordern?

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Einige Spiele brüsten sich heutzutage in ihren Pressetexten mit einem hohen Schwierigkeitsgrad. So bewirbt beispielsweise Subset Games seinen Indie-Hit FTL mit der “ständigen Bedrohung durch die Niederlage”. Cellar Door Games behauptet von seinem Plattformer Rogue Legacy: “Dieses Spiel ist SCHWER!”. Auch das Vorzeige-Action-RPG Dark Souls sei “extrem tiefsinnig, finster und schwer”. Bei The Impossible Game ist sogar gleich der Name Programm. Die Werbetauglichkeit dieser auf den ersten Blick durchaus abschreckend wirkenden Aussagen liegt nicht nur im unter sogenannten “Hardcore-Spielern” weit verbreiteten Elitarismus begründet, sondern deutet darüber hinaus darauf hin, dass die betreffenden Entwickler ein Kernelement ihres Mediums korrekt identifiziert haben, das in der modernen Spielelandschaft beinahe in völlige Vergessenheit geraten ist: forderndes Gameplay.

Gameplay im Fokus

Im Folgenden geht es in erster Linie um solche Spiele, die sich beim Versuch, für ihr Publikum von Wert zu sein, primär auf ihre Interaktivität stützen. Dem gegenüber stehen beispielsweise sogenannte “Walking Simulators”, wie Firewatch oder Gone Home, welche die künstlerische Anordnung ihrer Bestandteile und bedeutungsschwere Erzählungen in den Vordergrund stellen. Bei diesen Titeln ergibt sich das Fehlen fordernder Interaktion schon aus ihrer Grundausrichtung und lässt sich daher auch nicht bemängeln. Gleiches gilt für enorm storylastige Titel wie Heavy Rain oder Telltales The Walking Dead.

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Um solches “Gameplay” soll es an dieser Stelle nicht gehen.

Ein Großteil der Branche und insbesondere der modernen AAA-Titel setzt jedoch klar auf Spielmechanik. Natürlich lässt sich einem Call of Duty oder Assassin’s Creed ohne Weiteres und auch zu Recht der übertriebene Fokus auf rein audiovisuelles Spektakel ohne große spielerische Tiefe unterstellen. Allerdings würden diese Titel ohne ihre interaktive Komponente wohl kaum Interesse erzeugen. Explosives Geballer und elegante Mordorgien gibt es schließlich in Hollywood immer noch ein paar Klassen besser zu bestaunen.

Der Trend zum Asset-Tourismus

Während es in der Vergangenheit noch vollkommen normal war, dass Spieler durch die Interaktion mit dem Spielsystem gefordert und gerade durch ebenjene langfristig motiviert wurden, ist dies mittlerweile weit weniger selbstverständlich geworden. Vielmehr handelt es sich heute beim typischen “großen” Titel in erster Linie um einen, mal mehr (God of War) und mal weniger (Shadow of Mordor) vorausgeplanten, Rundgang durch den enthaltenen Content. Und sind dann einmal alle Sehenswürdigkeiten abgehandelt, ist das Spiel “durch”. Viele Spieler kommen infolge der oft über dutzende Stunden unnötig stark gestreckten Inhalte und der beinahe unvermeidlichen Ernüchterung nach dem Hype gar nicht erst so weit.

Für diejenigen jedoch, die bis zum Ende durchhalten, folgt in einigen Fällen noch der verordnete Pseudo-Wiederspielwert des “New Game Plus”. In der Regel verbirgt sich dahinter jedoch lediglich die ineffiziente Idee, die bereits abgeschlossene Asset-Tour nochmals in ihrer Gänze zu wiederholen, um dabei hier und dort ein paar Bonus-Inhalte zu Gesicht zu bekommen. Und selbst wenn der Modus wirklich großflächig und dauerhaft spielerischen Mehrwert bietet, stellt sich die Frage, warum er nicht schon im ersten Durchgang integriert war und so dem Großteil der Spieler auf ewig vorenthalten bleibt.

Warum Herausforderung?

Echter Wiederspielwert wiederum entsteht in Spielen durch den iterativen Lernprozess, den jeder Spieler beim Meistern des Gameplays durchläuft. Solange es spielerische Tiefe zu erkunden gibt, bleibt die Interaktion interessant. Um dies zu gewährleisten, muss eine jeweils dem Können des Spielers entsprechende Herausforderung vorliegen. Ein weitgehend automatisiertes Spielen der Marke “Drücke X, um zu gewinnen!” taugt natürlich nicht dazu, den Spieler zur Weiterentwicklung seines Skills oder Spielverständnisses anzuregen. Da nutzt es auch nichts, wenn die Spielhandlung noch so spektakulär dargestellt wird. Von Bedeutung ist nur, was der Spieler wirklich tut und inwiefern er sich Gedanken über seine Aktionen machen muss – und nicht bloß deren Ablaufen auslöst als würde er den Play-Button des DVD-Players betätigen.

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Drücke X, um Gegnerhorden effektvoll niederzumetzeln.

Selbiges gilt auch auf der inhaltlichen Bedeutungsebene. Die Story kann noch so sehr auf der Wichtigkeit eines Ereignisses, einer Entscheidung oder einer Figur bestehen. Ist das betreffende Element spielerisch irrelevant, dann auch vollkommen. Das beste Beispiel dieses Problems ist nach wie vor die nur scheinbar bedeutsame, tatsächlich jedoch triviale Entscheidung für oder gegen die Ausbeutung der Little Sisters in Bioshock. Fordernde Interaktion hingegen, den Spieler mit schwierig zu lösenden Problemen zu konfrontieren, ist die Art und Weise, wie ihm die Bedeutsamkeit seiner Partizipation am Spielablauf vor Augen geführt wird. Natürlich ist Herausforderung allein kein Garant für eine gute Erfahrung und muss so in das Spielerlebnis eingebunden werden, dass sie stets angenehm bleibt und typische Bedrohungen guten Game-Designs so weit wie möglich umschifft.

Die Folgen der Linearität

Sowohl die besagten Content-Rundfahrten als auch erzählende Spiele lassen in vielen Fällen jedoch von vornherein jegliche Herausforderung vermissen. Darüber hinaus arbeiten sie oft sogar aktiv gegen selbige. Damit eine Geschichte ihre intendierte Wirkung entfalten kann, muss sie stets weitergehen – idealerweise in einer ihr angemessenen Geschwindigkeit (“Pacing”). Ähnliches gilt für eine Erfahrung, die in erster Linie auf die bloße Abarbeitung der enthaltenen Content-Stücke ausgelegt ist. In beiden Fällen muss stetiger Fortschritt und letztlich, insbesondere im Fall einer linear erzählten Story, sogar ein Abschluss garantiert werden. Ein im zuvor beschriebenen Sinne forderndes Spiel wiederum darf dies gerade nicht tun, da es sich andernfalls der Trivialität und somit völliger Bedeutungslosigkeit verschreibt.

HeavyRain

Die Lösung des Story-Spiel-Problems: Eins von beiden eliminieren.

Stark filmische Spiele, die ihren Primärwert tatsächlich durch das Erzählen einer Geschichte erzeugen, ersetzen das Gameplay genau deshalb mittlerweile in vielen Fällen durch die bloße Auswahl, welcher Filmschnipsel als nächstes gezeigt werden soll. Effektiv haben sie damit jegliches Gameplay und somit auch den beschriebenen Konflikt eliminiert. Problematisch wird es dann lediglich, wenn stellenweise doch noch zwanghaft versucht wird, das Produkt zum Spiel im klassischen Sinne zu machen und so die Konsistenz der Erzählung gefährdet wird. Zu beobachten ist dies beispielsweise an diversen Szenen in Telltales The Walking Dead, bei denen der Spieler mit traditionellen Adventure-Aufgaben bedacht wird, die im Kontext der Story jedoch eher wenig Sinn ergeben und für die sich einige Charaktere sogar aktiv dumm stellen.

Andererseits: Gameplay First

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch nach wie vor Spiele, die das Gameplay in den Mittelpunkt stellen, bei denen es also in erster Linie um die abstrakten Eigenschaften des Regelsystems selbst geht. Dazu gehören neben auf den Multiplayer fokussierten Titeln wie Counter-Strike, Starcraft oder League of Legends auch partiebasierte Single-Player-Spiele wie Civilization oder die allermeisten Roguelikes. Während es jedoch gerade im kompetitiven Gaming gang und gäbe ist, den Spieler stets seinem Spielniveau entsprechenden Gegnern zuzuweisen und ihn so zu fordern, ist das damit in engem Zusammenhang stehende Konzept des Flow und der optimalen Erfolgswahrscheinlichkeit von 50% im Single-Player-Bereich deutlich weniger verbreitet. Hier muss Auro: A Monster-Bumping Adventure mit seinem Solitaire-Elo-System als absoluter Vorreiter genannt werden.

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Zu selten wird der Spieler als denkfähiges Wesen ernst genommen.

Ein weiteres Beispiel der Philosophie “Gameplay First” sind einige anspruchsvolle Rätselspiele, die sich auf die umfassende Erforschung eines einzigen innovativen Kernmechanismus und all seiner emergenten Eigenschaften konzentrieren. Paradebeispiele sind Portal mit seiner “Portalkanone” oder Jonathan Blows neuester Streich The Witness. Letzterer kokettiert auf Steam ganz direkt damit, den Spieler als intelligent und dessen Lebenszeit als wertvoll zu behandeln. Ähnlich wie die zu Beginn des Artikels erwähnten Werbebotschaften ist dies durchaus löblich, legt allerdings zugleich auch schonungslos den Missstand offen, dass diese Maximen in der modernen Spielelandschaft viel zu selten befolgt werden.

Kunstwerk oder Hindernisparcours?

Die Gründe für diesen Mangel an spielerisch anspruchsvollen Titeln am Markt sind mannigfaltig. Das professionelle Game-Design-Handwerk ist noch ein sehr junges, weshalb die Orientierung insbesondere am auf den ersten Blick verwandt wirkenden und bereits deutlich reiferen Medium Film zunächst wenig überrascht. Spielmechanische Tiefe ist darüber hinaus an der Oberfläche nicht leicht zu erkennen, gerade im Vergleich mit audiovisuell beeindruckenden Szenen oder einer ohne weiteres Zutun ablaufenden Geschichte. Herausforderndes Gameplay bedeutet zudem immer auch Aufwand für den Konsumenten und somit potenziell ein eingeschränktes Publikum. Doch gerade diese Ecken und Kanten sind es, die ein gutes Spiel in seiner Einzigartigkeit auszeichnen. Erst dadurch, dass es eben nicht absolut jedem mehr oder weniger gefällt, kann es für seine tatsächliche Zielgruppe zur großen Kunst werden. Will das Medium als Kunstform voranschreiten, muss die seichte Gefälligkeit noch viel häufiger den unbequemen Sonderlingen weichen.

LastOfUs

Ist hier Kunst im Spiel? Oder doch nur daneben?

Ebenfalls verurteilt gehören des Weiteren solche Ansichten, die direkt aus dem horrenden Zustand des Mediums folgen. Ein Beispiel wird von Phil Owen in seinem Buch “WTF Is Wrong With Video Games?” vorgetragen, aus dem Polygon vor einigen Monaten einen Auszug veröffentlichte. Seiner Meinung nach sei Gameplay, beispielsweise in The Last of Us, notwendigerweise bedeutungslos und in der Regel sogar ein Störfaktor. Es brauche diesen trivialen “Hindernisparcours” nicht, wo doch die Kunst selbstverständlich im Visuellen und der Erzählung läge. Angesichts der spielerischen Seichtheit vieler moderner Titel ist die Entwicklung einer solchen Einstellung zwar kein Wunder, aber schadhaft ist sie dennoch. Letztlich funktionieren Spiele eben ganz und gar nicht wie andere Medien. Gameplay ist von Natur aus abstrakt. Es trifft keine konkreten Aussagen über Liebe oder Freundschaft. Es muss keine dystopische Zukunftsvision zeichnen, um neben anderen Kunstformen zu bestehen. Die Bedeutsamkeit und Schönheit eines Spiels liegt darin, es dem Spieler zu ermöglichen, einen Blick auf das Innenleben seines Verstandes zu werfen. Spiele ermöglichen uns die Sichtbarmachung und das Miterleben von Kreativitäts- und Lernprozessen im komplexesten Bauteil des menschlichen Organismus. Bedeutungslos? Eher nicht.

One Response to Muss Gameplay fordern?

  1. […] Muss Gameplay fordern? (nachtfischer.wordpress.com, Fabian Fischer) […]

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