Artifact, das neue Sammelkartenspiel von Valve und Magic-Erfinder Richard Garfield, verweigert seinen Spielern den Glutamat-Tropf. Es gibt praktisch keine Progression, keine ständige Karotte vor der Nase, keine regelmäßig garantierten Belohnungen für die investierte Zeit. Und ein nicht unerheblicher Teil des Publikums flippt ob des Fehlens dieser heutzutage absolut allgegenwärtigen Mechanismen völlig aus.
Eine Bemerkung vorab: Ja, auch Artifact setzt auf die guten alten und ziemlich fragwürdigen “Booster Packs”. Im Grunde sind die zufällig befüllten Kartenpakete nichts anderes als Lootboxen, die aber nicht zuletzt dank Magic: The Gathering schon lange genug etabliert sind, um bei der aktuellen Debatte nicht unmittelbar im Fokus zu stehen. Das Geschäftsmodell ist natürlich dennoch kritisch zu sehen. Darüber hinaus ist das Spiel, abgesehen vom 20€-Einstiegspreis, durch seine direkte Anbindung an den Steam-Marktplatz letztlich wohl günstiger als Hearthstone und Konsorten – zumindest, wenn es darum geht, ohne Grind-Umweg eine schlagkräftige Kartensammlung aufzubauen.
Was vermissen die wütenden Spieler also? Genau, ebenjenen Grind. Belegt wird dies in zahlreichen Steam-Reviews und Reddit-Posts:
- “Because there’s no progression system of any kind, there’s no real reason to play the game.” [Steam]
- “Expecting people to ‘play for fun’ […] is ridiculous.” [reddit]
- “Every game you win and play will feel unrewarded and just a waste of time. […] There is no XP, no ranking system and no virtual currency (or arcane dust) earned through winning.” [Steam]
- “After 1 hour I had nothing to do […] no daily grind for currency” [reddit]
- “Every other card game has a ingame currency where you can grind to progress but not here. I am already bored of this game as there’s no method of progression.” [Steam]
Dem gegenüber steht eine Aussage des leitenden Entwicklers Brandon Reinhart:
“At its core, we want you to play the game because you enjoy playing the game.”
Der Graben, der sich hier zwischen einem signifikanten Teil der Spieler und der Philosophie der Macher auftut, ist bezeichnend dafür, wie tief extrinsische Motivatoren und explizite Progression in die Köpfe des modernen Videospielers eingebrannt sind. Das Spielen um des Spielens willen scheint verlernt, kommt einigen geradezu absurd vor.
Dabei ist die implizite Progression, das kontinuierliche Besserwerden durch die tiefe Auseinandersetzung mit einem interaktiven System, letztlich eine der echtesten und bereicherndsten Formen des spielerischen Fortschritts. Doch sie hat ein Problem. Sie ist wenig offensichtlich, schwer zu greifen, zu “self-driven” und kommt bei der breiten Masse kaum an.
Ganz anders: die verlässliche Belohnung für den stetigen Grind. Zeit investieren, Arbeit verrichten, belohnt werden, gut fühlen. Das versteht jeder. Das wirkt für jeden, insbesondere da dieser Prozess, jedenfalls in all dieser Transparenz und Einfachheit, in der Realität des kapitalistischen Alltags nicht selten vermisst wird.
Vielleicht stößt ein Spiel wie Artifact viele seiner Spieler vor den Kopf und wirft sie bereits nach wenigen Stunden ob fehlender Progression wieder heraus. Doch hat denjenigen das Spiel an sich gefallen? Handelt es sich dabei nicht um einen verantwortungsvolleren und gesünderen Umgang mit der eigenen Lebenszeit? Letztlich ist die Frage: Will ich eine begrenzte Anzahl ehrlich bereichernder Stunden mit einem Spiel verbringen oder lieber auf ewig die Tretmühle bedienen?
Richard Garfields “A Game Player’s Manifesto” verteufelte schon vor Jahren Spiele, die auf einen “süchtig machenden Zyklus für dafür empfängliche Spieler” ausgerichtet sind. Zum Teil scheint diese Denke nun in das Design Artifacts eingeflossen zu sein. Es ist geradezu erfrischend, einmal nicht über die Optimierung des Daily-Quest-Outputs nachdenken zu müssen und auch von einer Maximierung der “Anzahl gespielter Partien pro Stunde” zwecks möglichst rapidem Erklimmen der Rangliste absehen zu können.
Insofern handelt es sich um ein mutiges und kompromissloses Spiel, das nicht nur in Sachen Progression, sondern auch in Form seines enorm komplexen Gameplays kaum Zugeständnisse an den “Casual”-Markt macht. Es bleibt abzuwarten, wie standhaft Valve dabei bleibt und ob vielleicht sogar ein Umdenken bei Entwicklerkollegen und insbesondere innerhalb der Spielerschaft angeregt werden kann. Schön wär’s ja.