“Videospiele sind zu lang”: Symptome eines viel grundsätzlicheren Problems

Shawn Layden, ehemaliger PlayStation-Chef bei Sony, hat – diesmal am Beispiel The Last of Us Part II mal wieder die gute alte Debatte der “zu langen” Spiele losgetreten. Während er dabei vor allem aus Sicht der Tragbarkeit immer weiter ausufernder AAA-Entwicklungen argumentiert, entstanden auf den sozialen Kanälen allerlei hitzige Diskussionen (unter anderem unter Jason Schreiers provokanter Zuspitzung in Tweet-Form) um “Unterhaltungswert pro Euro”, kurze “interaktive Erfahrungen”, den Sinn und Unsinn von Grinding und diverse andere angrenzende Themen.

Eine Frage kommt dabei jedoch etwas kurz: Woran liegt es denn ganz grundsätzlich, dass ausgerechnet viele moderne AAA-Games auch aus Spielersicht als zu lang empfunden werden? Natürlich werden die offenen Welten größer, die Feature-Listen länger, die Inhalte umfangreicher – und all diese Faktoren bringen ihre Probleme für die Realität der Produktion sowie auch in Sachen Game-Design (Stichwort: Eleganz) mit sich.

Allerdings ist eine lange Spielzeit an sich nicht das Problem. Spieler mit tausenden Stunden Spielzeit in League of Legends oder Schach sind keine Seltenheit. Und sie entscheiden nach jeder Partie selbst, ob sie noch genügend spielerischen Gegenwert für ihre Zeit bekommen, sprich ob ihnen noch interessante und ungelöste Situationen begegnen oder ob sie “ausgelernt” haben. Klassische auf sich wiederholenden Gameplay-Loops basierende und in aller Regel im Partienformat gespielte Spiele haben dieses Problem also nicht.

Partienbasierte Spiele überlassen Spielern die Entscheidung darüber, wann sie “genug” haben – nach jedem Match aufs Neue.

Das Problem vieler AAA-Titel ist es nun, dass sie das klassische Modell des Gameplay-Loops ebenfalls verwenden, es jedoch in eine – mal mehr, mal weniger – fest vorgegebene und lineare Story-Struktur einbetten. Dadurch kommt es regelmäßig dazu, dass Spieler eigentlich bereits ausgelernt haben, das Spiel aber noch eine bestimmte Anzahl Stunden, solange die Geschichte eben zu erzählen ist, dauert. Das Spiel ist “zu lang” für seine eigene Story.

Die Tatsache, dass sich viele dieser Spiele im Gameplay stark ähneln und sich das Können der Spieler somit in weiten Teilen von einem zum anderen transferieren lässt verschärft das Problem zusätzlich. Auch der quasi zwangsläufig vergleichsweise geringe Anspruch von Massenmarkt-Produkten im Allgemeinen hilft wenig.

Viele AAA-Games entscheiden sich nicht zwischen Gameplay und Story, sondern setzen auf beides. Schnelle Lerner langweilen sich.

Die Anpassung der Spieldauer auf die Lernkurve ist im Übrigen kein wirklich lösbares Problem, da sie stark vom jeweiligen Individuum abhängt. Schneller oder langsamer Lerner? Genre-Veteran oder Neuling? Hausmann oder Informatikerin? Alle diese Aspekte ergeben teils völlig unterschiedliche Kurven und erfordern in der Theorie Änderungen am Design. Schwierigkeitsgrade – ob vorausgewählt oder dynamisch vom System ermittelt – verschaffen Linderung, bleiben aber letztlich immer nur suboptimale Pauschallösungen für ein “cursed problem”.

Nebenbei: Es gibt natürlich auch das umgekehrte Problem. Kommt ein Spieler nicht schnell genug mit dem Gameplay zurecht, verhagelt es der Erzählung das Pacing. Das alte Leid.

Besser schlagen sich da interaktiv erfahrbare Geschichten wie What Remains of Edith Finch. Statt dem traditionellen Modell der Gameplay-Loops nachzuhängen, koppeln sie ihre interaktiven Elemente eng an die erzählte Geschichte – echte Synthese statt bloßes Nebeneinander. Jeder Abschnitt bringt seine eigenen Regeln, Aktionen und mechanischen Aussagen mit sich, die auf die jeweilige Erzählung angepasst werden können.

“Interaktive Erfahrungen” lösen sich vom Modell der Gameplay-Loops und setzen auf eine enge Kopplung von Erzählung und Interaktion.

Das Gameplay erhält seine Bedeutung nicht im Lernprozess des Spielers, sondern durch die gezielte Unterstützung der Story. Das Spiel ist genau so lang, wie es sein muss. Oder eben nicht, dann ist es dafür anhand seiner eigenen Maßstäbe zu kritisieren und gegebenenfalls zu verbessern. Dies ist jedoch beileibe keine unmöglich aufzulösende Problematik wie in der weiter oben beschriebenen Situation.

Ergo: Die “falsche” Spieldauer ist in aller Regel kein Problem eines spezifischen Spiels oder der AAA-Entwicklung unserer Zeit. Vielmehr ist sie ein Symptom einer fundamental problematischen Herangehensweise an das Medium, der es an Fokus und Kohärenz fehlt.

2 Responses to “Videospiele sind zu lang”: Symptome eines viel grundsätzlicheren Problems

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