Monster Train: Roguelike-Deckbuilder 2.0

Vor Kurzem ist Monster Train aus dem Hause Shiny Shoe sehr erfolgreich auf Steam gestartet. Der Roguelike-Deckbuilder hat bereits über 3000 Bewertungen (im Schnitt “überwältigend positiv”) eingeheimst und wurde auch von vielen Streamern und YouTubern (u.a. Northernlion und Rhapsody) begeistert in ihren Content-Zyklus aufgenommen.

Das große Vorbild ist dabei eindeutig der moderne Klassiker und Genre-Mitbegründer Slay the Spire. Doch profitiert der Monsterzug nun lediglich vom Hype und “Cult of the New” oder lassen sich tatsächlich Verbesserungen im Game-Design ausmachen?

Struktur und Räumlichkeit

Um diese Frage zu beantworten, hilft zunächst ein Blick auf die grundlegende Struktur des Spiels. Wie schon in Slay the Spire stellen Spieler im Verlauf einer Partie über eine Reihe von Kämpfen hinweg ein Deck zusammen und müssen dabei immer größere Herausforderungen meistern. Allerdings repräsentieren dabei nicht alle Karten die Zauber und Aktionen eines einzelnen Charakters, sondern es werden eine ganze Reihe Kreaturen mit beigemischt. Diese werden im Verlauf eines Kampfes ausgespielt und in einer von drei Ebenen platziert, die die anstürmenden Feinde nacheinander durchlaufen.

Hier findet sich dann auch der fundamentalste Unterschied zum Slay-the-Spire-Kampfsystem: der Raum. Wo die Einheiten – eine davon stets der mit speziellen Fähigkeiten gesegnete eigene “Champion” – platziert werden, spielt eine enorme Rolle. Schließlich werden alle Kreaturen nach dem Ausspielen aus dem Deck entfernt und kehren auch nach ihrem Ableben nicht mehr zurück. Somit wird das Deck übrigens im Verlauf eines Gefechts tendenziell immer kleiner und das Spiel verglichen mit vielen anderen Kartenspielen deutlich konsistenter. Doch vor allem gilt es stets, simultan auf allen drei Ebenen möglichst günstige Situationen herzustellen, sodass die eigenen Kreaturen überleben und zugleich die Gegner am Hinaufstürmen hindern.

Dazu passend existieren bestimmte Karten, mit denen sich (eigene sowie gegnerische) Einheiten zwischen den Ebenen verschieben oder in der aktuellen Ebene an die Front ziehen lassen, sodass sie im Schlagabtausch zuerst getroffen werden. Letzteres bietet sich etwa beim eigenen “Tank” an oder aber dem gut geschützten Damage-Dealer auf der anderen Seite. Durch Räumlichkeit, Positionierung und Bewegung kommen viele nicht-mathematische Entscheidungen ins Spiel, die nicht nur direkten Einfluss auf Schaden und HP nehmen, sondern auch auf komplexere Beziehungen zwischen den am Kampf beteiligten Elementen. Dadurch wird, gerade im Vergleich zu Slay the Spire, seltener gerechnet und öfter zwischen nicht unmittelbar vergleichbaren Alternativen intuitiv entschieden.

Holistisches Deck Building

Eingebettet sind die nur etwa 5-10 Runden langen Gefechte in ein Meta-Game aus Deckbuilding- und diversen weiteren Optionen. Spieler werden bei jeder Auswahl mit zufälligen Kombinationen aus Karten oder Artefakte (das Äquivalent zu den die Spielregeln des aktuellen Durchlaufs modifizierenden “Relics” aus Slay the Spire) der beiden gewählten Clans konfrontiert. Ein Clan zählt dabei als “primär” und stellt auch den Champion, der andere als “alliiert”. Wer einen von beiden ignoriert, wird in der Regel Probleme bekommen. Vielmehr müssen die einzigartigen Fähigkeiten beider Clans sowie die ihnen zur Verfügung stehenden Kreaturen und Zauber immer wieder neu zu einer schlagkräftigen “Build” kombiniert werden.

Dank der zuvor erwähnten relativ hohen Konsistenz im Kampfablauf gleicht das Deckbuilding dabei durchaus dem Aufbau einer gut funktionierenden Maschinerie, fast wie in einem “Eurogame”. Es reicht (spätestens auf höheren Schwierigkeitsgraden) nicht, einfach einen Haufen – isoliert betrachtet – “guter” Karten zusammenzuwerfen. Stattdessen sollte jede Karte ihren Platz im Kontext des eigens entworfenen Game-Plans haben. Doch auch mit dieser Erkenntnis bauen sich die Decks keinesfalls von alleine. Jeder Clan ist zwar auf einige wenige “Archetypen” hin designt, jedoch werden eben nicht immer die passenden Karten angeboten, sodass auch hier immer wieder von der Ideallinie abgewichen und – je nach bisherigem Deck, gefundenen Artefakten und kommenden Herausforderungen – kreativ vermischt werden muss.

Einen weiteren Baustein für ein jedes Deck, das auch den finalen achten Kampf bestehen kann, stellen die Kreaturen- und Zauber-Händler dar. Diese verkaufen nicht etwa Karten an sich, sondern diverse granulare Upgrades, die sich in bereits im Deck vorhandene Karten einsetzen lassen. So können sie etwa Kreaturen stärken oder mit bestimmten Effekten versehen. Zauber können wiederum sogar in ihren Mana-Kosten reduziert werden oder per “Holdover”-Effekt jede Runde verlässlich wieder gezogen werden. Somit lässt sich die Effizienz des Decks weiter steigern und mögliche Stolpersteine auf dem Weg zur angestrebten “Win Condition” können abgeschliffen werden.

Alle Entscheidungen sind dabei stark kontextualisiert. Bereits die Auswahl des ersten Artefakts und einer von zwei Champion-Fähigkeiten noch vor dem ersten Gefecht wird vor dem Hintergrund einer Handvoll zufällig ins Startdeck beigemischter Karten getroffen. Im weiteren Verlauf einer Partie gesellen sich dazu immer mehr miteinander interagierende Aspekte. Dazu gehören nicht zuletzt die immer wieder mit neuen Taktiken aufwartenden Feindesgruppen. Kann mein Deck mit gepanzerten Tanks umgehen? Wie sieht es mit “Schwarm”-Angriffen aus? Kann ich gezielt Heiler am hinteren Ende eines Stoßtrupps anvisieren? Und so weiter.

Multiplayer?

So viel zur Grundstruktur des Spiels, aus der sich bereits genügend interessante Situationen für dutzende, wenn nicht gar hunderte, Stunden ergeben. Dazu kommt jedoch noch eine Reihe von Multiplayer-Modi. So findet sich auch hier das etablierte Konzept der “Daily Challenge” wieder. Alle Teilnehmer treten dabei unter gleichen Zufallsbedingungen gegeneinander an, um zu ermitteln, wer am besten mit den generierten Herausforderungen umzugehen weiß. Im Vergleich zum normalen Single-Player-Modus werden dabei zusätzlich drei “Modifikatoren” – mal positive, mal negative Regeländerungen – aktiviert, die weitere Abwechslung und Komplexität ins Spiel bringen. Analog lässt sich eine “Custom Challenge” erstellen, die gezielt mit Freunden oder kleineren Spielergruppen geteilt werden kann (ähnlich wie bei den “Insta-Tournaments”).

Während bei der Daily Challenge alle Spieler 24 Stunden Zeit haben, ihr Ergebnis einzureichen, sieht das im Modus “Hell Rush” ganz anders aus. Hier treten acht Spieler synchron (und im Meta-Game auch sichtbar) gegeneinander an. Für jeden Kampf – inklusive der darauffolgenden Deckbau-Entscheidungen – gibt es nur wenige Minuten Zeit. Der Timer ist zwar allgegenwärtig (und keinesfalls diegetisch), zumindest gilt er jedoch nicht pro Zug, sondern pro “Segment”. Somit bleibt den Spielern die Freiheit, sich gezielt mehr Zeit für schwierige Entscheidungen zu nehmen und andere Runden schneller voranzutreiben. Momentan ist das Matchmaking in diesem innovativen Modus rein zufällig, bei anhaltender Beliebtheit überlegen die Entwickler jedoch auf ein Elo-artiges System umzustellen. Ein Roguelike als eSport? Wer weiß…

Fazit

Doch auch abgesehen vom Multiplayer-Aspekt, der das Gesamtpaket nochmals deutlich aufwertet, hält Monster Train diverse Game-Design-Fortschritte bereit. Insbesondere ausgefeilte Meta-Strukturen und bedeutsame Räumlichkeit sind zwei Aspekte, die dem Genre bislang in weiten Teilen fehlten. Sie heben sowohl den taktischen Aspekt der Kämpfe als auch das übergeordnete Deckbuilding auf ein höheres Level.

Vorherige Vertreter (u.a. Deck of Ashes, Pirates Outlaws) hielten sich eng am arithmetischen Fokus des großen Vorbilds. Andere (u.a. Griftlands, Gordian Quest) setzten auf Features wie Dialog-Bäume und Story, die eher zu klassischen Rollenspielen als zu den einzigartigen Qualitäten des Deckbuilding-Konzepts zu passen schienen. Oder aber es wurde – wie im Falle des sehr guten Meteorfall: Journey – Komplexität reduziert, um sich auf mobile Plattformen anzupassen.

Wer allerdings keine Abstriche in Sachen Spieltiefe machen sowie die beschriebenen Design-Kniffe am eigenen Leib erleben möchte, und auch wer mit Kartenspielen oder (rundenbasierter) Strategie im Allgemeinen etwas anfangen kann, sollte definitiv reinspielen!

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