Lose Gedanken zu möglicherweise überraschenden Parallelen.

“In conceptual art the idea or concept is the most important aspect of the work.”
(Paragraphs on Conceptual Art – Sol LeWitt)
In die während der 1960er Jahre entstandene Kategorie der Konzeptkunst passen auf den ersten Blick die wenigsten modernen Videospiele.
“What the work of art looks like isn’t too important. […] Art that is meant for the sensation of the eye primarily would be called perceptual rather than conceptual. […] This kind of art, then, should be stated with the greatest economy of means. Any idea that is better stated in two dimensions should not be in three dimensions.”
Grafisch-technologisches Spektakel ist allgegenwärtiger Bestandteil so ziemlich jeden größeren Releases.
“It is the objective of the artist who is concerned with conceptual art to make his work mentally interesting to the spectator, and therefore usually he would want it to become emotionally dry.”
Viele populäre Games liefern ausschweifende emotional-narrative Gründe für das Handeln des Spielers mit.
“There is no reason to suppose however, that the conceptual artist is out to bore the viewer. It is only the expectation of an emotional kick, to which one conditioned to expressionist art is accustomed, that would deter the viewer from perceiving this art.”
Der “Kick” durch audiovisuelle Reize, psyschologische Tricks oder beides gehört heute fest zur Gamer-Erwartungshaltung.
Je stärker Spiele darauf getrimmt werden, Umsatz zu generieren, desto weniger geht es tatsächlich noch “um die Idee” – sei es die Erkundung der Implikationen einer Gameplay-Mechanik oder eine der Interaktion implizite Aussage (z.B. The Marriage). Stattdessen ertrinkt diese Idee in einem Gemisch aus durch kommerzielle Interessen generierten Notwendigkeiten. Letztlich eine verständliche Folge der systemischen Lebensumstände der Macher.
Allerdings lassen sich auch innerhalb dieser Realitäten – abseits des Mainstreams – dann doch durchaus Ansätze finden, die es hergeben, sich unter der Konzeptkunst-Linse betrachten zu lassen. Allen voran hat sich in den 2000ern in Form der Game Jams eine ganze subkulturelle Stoßrichtung entwickelt, die Entwickler aktiv zu kleinen, ungewöhnlichen Experimenten ermutigt und Dinge wie Spielbarkeit und audiovisuellen Polish bewusst hinten anstellt.
“The Indie Game Jam is a yearly game design and programming event designed to encourage experimentation and innovation in the game industry.”
(Indie Game Jam 0 – Chris Hecker)
Natürlich ist es nicht bei einem Event geblieben. Allein auf itch.io sind hunderttausende Jam-Spiele vertreten. Ludum Dare und Global Game Jam sind weltweite Großveranstaltungen im virtuellen Raum geworden, in deren Rahmen es immer wieder spannende kreative Vorstöße zu entdecken gibt. Zum diesjährigen “GMTK Jam” – ausgerichtet vom YouTube-Kanal Game Maker’s Toolkit – haben sich bereits fast 15000 Teilnehmer angemeldet. Auch hier gehören die “Ideen” wieder mit zum ersten Satz der Beschreibung:
“This is a 48 hour game making marathon, focused on design, mechanics, and clever ideas.”
(GMTK Jam 2021 – Mark Brown)
Doch damit nicht genug: Es haben sich auch ganze Plattformen – und Communities um diese herum – entwickelt, die Spiele nicht primär als Produkte begreifen, sondern das Experimentieren, Teilen und Lernen in den Vordergrund stellen – kurz: das Schaffen an sich.
So wurden etwa die Beschränkungen der Fantasy-Konsole PICO-8 bewusst ausgewählt, um bei ihren Nutzern – den Machern in der Gestaltung sowie den Spielern in der Wahrnehmung – eine Geisteshaltung zu induzieren, die der Konzeptkunst in vielen Aspekten sehr nahe kommt.
“I feel much more touched by small things that I see other people making. […] I just love to see isolated little thoughts.”
(PICO-8 and the Search for Cosy Design Spaces – Joseph White)
Auch existieren mittlerweile diverse physische Open-Source-Konsolen mit jeweils ihrem ganz eigenen Charakter und darauf basierend einer eigenen Kultur des unabhängigen, freien, nicht-kommerziellen Spielschaffens.
Klar, auch hier haben wir es wieder mit einem Spektrum zu tun. Offene nicht-kommerzielle Spiele und Plattformen mögen am einen Ende stehen, aber auch unter ihnen sind mal mehr und mal weniger visuell ausgefeilte Projekte vertreten. Andererseits sind auch erfolgreiche Indie-Spiele wie Braid, Journey oder What Remains of Edith Finch aus konzept-künstlerischer Sicht, jenseits ihrer technologischen und audiovisuellen Qualitäten, äußerst wertvoll. Zach Gage wiederum ist selbst Konzeptkünstler und betrachtet Spiele ganz selbstverständlich als Teil seiner Praxis. Und letztlich lassen sich sogar zwischen AAA-Titeln Unterschiede im Anspruch an die Kernidee ausmachen – auch wenn es hier dann endgültig primär um ganz andere Dinge geht.

Wohin führt nun das Ganze? Sicher, einige Spiele sind konzeptionell interessanter und innovativer als andere. Einige von ihnen – üblicherweise die, die sich als Konzeptkunst klassifizieren lassen – sind allerdings leichter abzutun. Vielleicht als kleine oder kurze oder irrelevante, bestenfalls “nette”, Obskuritäten.
Aber: Wer sich für Games interessiert – egal ob als Spieler, Macher, Analytiker oder jede erdenkliche Mischung – für den lohnt sich das Wandern abseits breit ausgetretener Pfade. Für den lohnt es sich, die Fähigkeit zu entwickeln, hinter die Fassaden zu blicken, auf die Ebene der Konzeptkunst. Es lohnt, zu fragen, was die konzeptionelle Aussage ist – sowohl bei Titeln, die selbige ins Rampenlicht rücken, als auch bei denen, die es gerade nicht tun.
Da draußen lassen sich ganze Welten kreativer Energie und Inspiration entdecken, die nicht weniger in der Lage sind zu faszinieren als die “Großen” und oft sogar weit mehr. Welten, die unabhängig vom technischem Fortschritt gedeihen und diesen teils ganz bewusst beiseite schieben. Nicht etwa aus Minimalismus-Wahn oder “Retro”-Nostalgie, sondern schlicht als unerwünschte Ablenkung vom Konzept. Von der Idee.
“Seeing is not as simple as looking.”
(Joseph Kosuth, Konzeptkünstler)