Design-Theorie in der Praxis: Gwent

In kaum ein Spiel habe ich auch nur ansatzweise so viel Zeit versenkt wie in Gwent – und das bereits während der Betaphase. Die Gründe sind bei näherer Betrachtung recht leicht auszumachen. Das Witcher-Kartenspiel folgt vielen Game-Design-Prinzipien, die in den letzten Jahren auf dieser Webseite besprochen wurden. Beispiele gefällig?

Spielmechanische Brillanz

Gwent ist ein lupenreiner Entscheidungswettbewerb. Es verliert sich jedoch nie in übermäßiger Komplexität, sondern bietet eine durch und durch flüssige kompetitive Spielerfahrung. Die kurzen Partien sind äußerst effizient und stellen Spieler vor eine Vielzahl interessanter Herausforderungen. Dank der eleganten Runden-Struktur überfordern die zu treffenden Entscheidungen nicht, ohne ins Triviale abzugleiten. Dank versteckter Information und begrenzter Bedenkzeit müssen sich die Spieler in aller Regel auf ihre Intuition verlassen.

Die zu ergründende Spieltiefe nimmt dabei vielfältige Formen an: Es gilt, Karten, Synergien sowie Deck-Archetypen zu entdecken; die In-Game-Entscheidungen erfordern mathematisches wie situatives Verständnis; zudem steckt einige Kreativität im Deckaufbau und der Anpassung an unorthodoxe Spielverläufe, die dank unzähliger Nuancen im Gameplay regelmäßig auftreten. Dadurch wird die Kompetenzphase im Lebenszyklus des Spiels besonders betont.

Bedeutsame Interaktion

So gut wie jede Partie ist bedeutsam. Aufgrund des sehr zuverlässig kausal nachvollziehbaren systemischen Feedbacks lernen Spieler stetig dazu. Die Kartenspielen inhärente Varianz ist gerade groß genug, um dauerhaft für Abwechslung und Unsicherheit zu sorgen, wird jedoch gezielt begrenzt. Es geht primär um Hand- und Deckmanagement statt um das bloße Hoffen auf passende Karten zur rechten Zeit. Das Gameplay bricht nicht den kompetitiven “Flow”.

Gwent positioniert sich somit ganz eindeutig als Skill- und nicht als Glücksspiel. Zudem verzichtet es, trotz Free-to-play-Modell, auf überflüssigen Content und Wohlfühlmechanismen. Dementsprechend wird auch der Fortschritt im Spiel in erster Linie implizit über ein Elo-Ranglistensystem abgebildet. “Geschmacksverstärker” existieren zu dessen Unterstützung, stehen jedoch nicht im Fokus. Cleverness und Finesse triumphieren über stumpfen Grind.

In seiner Natur als digitales Kartenspiel ist das Spiel darüber hinaus sehr transparent. Obwohl insbesondere die animierten Premiumkarten durchaus Genre-Maßstäbe setzen, ordnen sie ihre charakteristischen Posen und Farbpaletten doch stets der Maxime der visuellen Klarheit unter und stehen somit nicht für puren Grafikwahn. Zur weiteren Unterstützung seiner Mechanik greift das Spiel zudem immer wieder auf Geschichten aus dem Witcher-Universum zurück, verliert sich jedoch nie in ausschweifender Narration.

Intrinsische Motivation

All diese Faktoren tragen dazu bei, dass viele Gwent-Spieler eine enorme intrinsische Motivation entwickeln: sie erwerben Kompetenz; sie agieren während der Partien und bei der Zusammenstellung ihrer Decks selbstbestimmt; zudem werden sie, auch über das Spiel hinaus, in ein soziales Ökosystem aus unzähligen Diskussionen und qualitativ hochwertigem Content eingebunden. Alles dreht sich um das Lernen, Entdecken und den Austausch, nie um bloße Dominanz.

Gwent steht ganzheitlich für progressives Game-Design. Es baut auf zahlreichen bisherigen Erkenntnissen aus dem Reich der Karten- und Strategiespiele auf und führt daraus entstandene theoretische Prinzipien beispielhaft in der Praxis zusammen. Das Spiel stellt somit eine künstlerische Speerspitze moderner gameplay-getriebener Videospiele dar und wird die Basis für weiteren Fortschritt sein.

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