Ein Hinweis auf ein Ă€lteres Kleinod aus aktuellem Anlass: Vor wenigen Tagen wurde auf dem YouTube-Kanal der GDC ein Vortrag von Frank Lantz aus dem Jahr 2014 erneut hochgeladen: “Hearts and Minds”.
Auch wenn der Vortrag sich keinen konkreten, “harten” Game-Design-Problemen widmet, begleitet mich seine zentrale Idee dennoch seit Jahren: Spielen als Sichtbarmachung des Denkens (“thought made visible to itself”).
Spielen bedeutet nicht nur, zu lernen, sondern auch ĂŒber das Lernen an sich zu lernen. Wir werden Zeuge unserer eigenen Gedanken und davon, wie sie sich immer wieder zu einem höheren VerstĂ€ndnis komplexer Problemstellungen zusammensetzen.
Wir interagieren, suchen Lösungen, scheitern, werden kreativ, passen unser Modell der Welt immer wieder entsprechend an und werden besser. Auf diese Weise bringen uns Spiele unserem Geist nÀher als kaum etwas anderes.
Darin besteht fĂŒr mich letztlich die Faszination des Mediums. Das ist es, wonach ich in Spielen suche und in deren Design strebe.
In einer seiner jĂŒngeren Kolumnen stellt Wolfang Walk fest, dass “fast jede wichtigere auch wirtschaftlich erfolgreiche und nicht technische Innovation der letzten Jahre” aus dem Indie-Bereich stammt.
Verwundern wird das niemanden ernsthaft. Angesichts wahnwitziger Budgets kommen neuartige Konzepte, und damit Risiko, fĂŒr AAA-Entwickler in der Regel gar nicht erst in Frage.
Tragisch ist das besonders aufgrund des rapiden Wachstums der Spieleindustrie in den vergangenen Jahrzehnten. Diejenigen, die mehr als genug finanzielle Mittel hĂ€tten, das Medium kĂŒnstlerisch in rasantem Tempo voranzutreiben, halten lieber die FĂŒĂe still. Statt den Weg in Richtung “Leitmedium” endlich auch inhaltlich – und nicht bloĂ auf dem Unterhaltungsmarkt – zu beschreiten, wird auf Nummer sicher gegangen und der zigste Aufguss etablierter Marken produziert.
Ein transparentes Spiel lĂ€sst sich von seinen Spielern in GĂ€nze erfassen – zumindest was die Mechanik betrifft. Es versteckt seine Regeln nicht in einer “Blackbox” oder hinter gigantischen Formeln, sondern generiert Herausforderungen durch strategisch-systemische Tiefe. Im Folgenden soll erlĂ€utert werden, welche Spiele nicht daran vorbeikommen, dem Design-Leitsatz der Transparenz zu folgen und welche Eigenschaften sie sich dabei konkret zunutze machen können.
DrĂŒben auf Spielkritik.com (das ĂŒbrigens jeder, der diese Worte liest, in seinem Newsfeed haben sollte) gibt es ab sofort den ersten Teil eines neuen Slowtalks zum Thema “Veraltete Spielmechanik” zu lesen. Sylvio Konkol fĂŒhrt durch die ĂŒber etwa zwei Wochen hinweg entstandene Diskussion unter Beteiligung von “FrĂŒhstĂŒckszocker” Patrick Pohsberg, Pascal Wagner von Indieflock.net sowie meiner Wenigkeit.
Zu Beginn belauern wir das Thema aus diversen Richtungen: Braucht es eine manuelle Kamerasteuerung? Ist die Ubisoft-Formel nun modern oder ĂŒberholt? Erziehen Spiele uns zu FleiĂarbeitern? Und was hat der Kern einer Spielerfahrung mit “fortschrittlicher Mechanik” zu tun?
“Spielestorys in der Krise”, proklamiert der GameStar-Podcast im Titel seiner vierten Episode. “Wo auch sonst?”, möchte man entgegnen. SchlieĂlich weisen jene passiv-cineastisch erzĂ€hlenden Spiele mit vorgefertigten Autorengeschichten, die heutzutage Action-, Rollen- und Abenteuerspiele prĂ€gen, nicht wenige inhĂ€rente Konflikte auf. Dennoch haben die Podcaster sogleich das Ergebnis einer Umfrage unter den Lesern ihres Magazins zur Hand, das die Bedeutung dieser Form der ErzĂ€hlung fĂŒr das Medium zu bestĂ€tigen scheint. Die dabei implizite Aussage: “Da sieht man, die Leute wollen das so!”
“If the audience knew what they needed, they would not be the audience; they would be the artists.”
(The Mindscape of Alan Moore)
Doch was, wenn wir es hier lediglich mit einem schönen Beispiel fĂŒr die normative Kraft des Faktischen zu tun haben? Denn in der Tat sind Titel wie The Last of Us, Uncharted oder Mass Effect vor allem fĂŒr ihre passiven QualitĂ€ten zu bewundern, fĂŒr ihr Gameplay allerdings weniger. Auch die Kampagne eines Call of Duty lĂ€sst sich kaum noch mit anderen Worten beschreiben als ein Film von Michael Bay. Will sagen: Eben weil Videospiele ein sehr junges Medium sind, dessen erfolgreichste Vertreter sich noch stark am reiferen (vermeintlichen) Brudermedium Film orientieren und zu Gunsten von Narration und audiovisuellem Bombast auf generisch-flache Spielmechanik setzen, meinen die Spieler, das hĂ€tte so schon seine Richtigkeit.
Spielephilosoph und Literaturprofessor Ian Bogost ist mit seinem kĂŒrzlich veröffentlichten Artikel jedenfalls nicht der erste, der sich in folgender Weise ĂŒber diese Gattung der erzĂ€hlenden Spiele Ă€uĂert:
Divergente Meinungen zu Mass Effect: Andromeda bei Metacritic.
“Das ist halt meine Meinung!” So oder Ă€hnlich wird immer wieder der schĂŒtzende Schild ĂŒber die eigenen Aussagen und Argumente gehalten. NatĂŒrlich sind davon nicht nur Diskussionen ĂŒber Spiele betroffen, sondern auch solche ĂŒber alle möglichen anderen Medien. Auf den ersten Blick scheint es in Kunst und Unterhaltung zuallererst und vor allem um die persönlichen Meinungen des Publikums zu gehen. Aufgrund der Jugend der Spielezunft, die gerade erst zaghaft mit dem GieĂen eines theoretischen Fundaments begonnen hat, ist der MeinungsÂschutzÂfaktor in diesem Feld jedoch besonders hoch.
Vielerorts wird dieser Pluralismus im nĂ€chsten Schritt dann sogar gelobt: “Schön, dass es so viele verschiedene Meinungen gibt! Sonst wĂ€re es ja langweilig!” Das ist einerseits vollkommen in Ordnung. Im privaten Raum, wo Selbstdarstellung, persönliche Erfahrung und gefĂŒhlsmĂ€Ăiges Mögen regieren, soll es ruhig beliebig verschiedene Ansichten geben. Sobald es aber ums BegrĂŒnden, Verteidigen und Argumentieren geht, sich also eine ernsthafte Diskussion entwickelt, sollte vom bloĂen Meinen Abstand genommen und miteinander geredet werden statt aneinander vorbei. Andernfalls braucht man sich – ob als Entwickler, Kritiker oder schlicht Spielefan – gar nicht erst zu streiten.
Ich bin MitbegrĂŒnder einer neuen Webseite, auf der wir in Zukunft immer wieder ausgewĂ€hlte Game-Design-Artikel kurz aufbereiten und verlinken werden.
Es soll im Idealfall eine Art “Kotaku der Game-Design-Theorie” werden.
Gwent, das ursprĂŒnglich als NebentĂ€tigkeit in The Witcher 3 bekannt gewordene Sammelkartenspiel, wurde von Entwickler CD Projekt einer GeneralĂŒberholung unterzogen und kann nun auch vollkommen eigenstĂ€ndig und vor allem online gegen menschliche Gegner gespielt werden. Und schon nach wenigen Minuten wird deutlich, dass es sich in seiner Spielmechanik stark von typischen Genre-Vertretern abhebt.
Spiele können sich bestimmte Strukturen in ihrem Regelwerk zunutze machen, um ihre Tiefe zu vervielfachen. Konkret kann die Einbindung verschiedener spielerischer Ebenen und deren Vernetzung den zu treffenden Entscheidungen zahlreiche Nuancen hinzufĂŒgen. Somit lĂ€sst sich die Lebenszeit des Systems auf höheren Meisterschaftsebenen verlĂ€ngern, ohne dass die ZugĂ€nglichkeit signifikant eingeschrĂ€nkt werden muss. Am Beispiel von Age of Rivals soll dies im Folgenden nĂ€her erlĂ€utert werden.
Vorreiter der “German board games”: Die Siedler von Catan (1995)
Im Reich der Brettspiele steht der Begriff “German-style board game” (heute auch “Eurogame”) fĂŒr einzigartige Designmerkmale und beschreibt eine der populĂ€rsten Strömungen auf dem Markt. Im digitalen Sektor sieht es hingegen eher duster aus – insbesondere fĂŒr Titel aus Deutschland im internationalen Vergleich. Immer wieder kĂ€mpfen Studios mit qualitativen und in der Folge auch finanziellen Problemen. Es mangelt an IdentitĂ€t. Stellen werden abgebaut und Studios geschlossen. Einflussreiche Stimmen sehen sich bereits zum “Weckruf” gezwungen. Warum dieser Gegensatz?