Overwatch: Vom “Charakter” zur Spielfigur

June 29, 2016

overwatch-heroes

Während MOBAs in der Regel mit noch viel mehr spielbaren Charakteren hantieren, begnügt sich Blizzards Team-Shooter Overwatch mit “nur” 21 dieser Alternativen. Da sich alle Helden jedoch in den im “6 gegen 6” ausgetragenen Partien frei kombinieren lassen und sich gerne einmal schon ihrer Grundausrichtung nach gegenseitig kontern, hätte das Spiel ohne Weiteres zum Balancing-Alptraum werden können. Dieser Aussicht wurde jedoch durch eine Designentscheidung entgegengewirkt, die von Beginn an ein Kernelement des Spiels klar definiert hat: Es ist während der Partien jederzeit möglich, zwischen den Helden zu wechseln.

Diese Regel schafft zu jeder Zeit absolut faire Voraussetzungen für alle beteiligten Spieler. In besagten MOBAs kommt es immer wieder vor, dass die eigene, in vielen Spielmodi blind gewählte Zusammensetzung des eigenen Teams den Gegner zufällig hart kontert oder von ihm gekontert wird. So können schon mal ganze Partien in Sachen spielerischem Lerneffekt völlig wertlos sein und auch Spielspaß und Spannung bleiben auf der Strecke.

Gelöst wird dieses Problem in der Regel durch eine vorgelagerte Draft-Phase, die allerdings ihrerseits zeitraubend ist, den Entscheidungsfokus verzerrt und die Bedeutsamkeit der Partien selbst reduziert. In Overwatch ist der Heldenwechsel hingegen Teil des Spielverlaufs und eng mit dem eigentlichen Gameplay verwoben. Nicht nur können ausgerichtet an der eigenen beziehungsweise gegnerischen Teamkomposition Anpassungen vorgenommen werden, sondern auch je nach aktueller Spielsituation. Soll ein statischer Defensivverbund an einer verhärteten Front aufgesprengt werden, sind andere Helden nützlich, als wenn die gezielte Eliminierung eines Scharfschützen im Hintergrund ansteht.

Diese erhöhte strategische Tiefe bringt auch ein Artikel von Eurogamer sehr schön auf den Punkt:

The ability to switch characters when you respawn is what makes Overwatch special. Sometimes a strategy isn’t working and you need to adjust for a breakthrough. Maybe you need better flanking, maybe you need a sniper to take out their entrenched defense, or maybe you need more support or a different tank. Similarly, the character you start a match with may not be the one you want to end it with. They all have their strengths and weaknesses.

Letzten Endes ist die Idee, einen von Anfang an festgelegten “Avatar” zu kontrollieren und gar zu “verkörpern”, lediglich ein Überbleibsel aus den Rollenspiel-Ursprüngen heldenbasierter Spiele. Diese Identifikation mit den Protagonisten ist in der modernen Ausprägung dieser Systeme, die mit kurzen Matches und klar definierten kompetitiven Strukturen eher einer Sportart gleichkommt, fehl am Platz. Statt “Charakteren” handelt es sich bei den spielbaren Helden vielmehr um Spielfiguren, abstrakte Regelpakete in thematischer Verpackung. Overwatch geht mit dem “Hero-Switching”-Konzept einen weiteren erfreulichen Schritt in diese Richtung und macht sich zu Gunsten von Spielmechanik und strategischer Tiefe frei von jeglichen althergebrachten Zwängen der Fantasy-Simulation.


Intuitive Entscheidungen

June 4, 2016
DualProcessTheory

Darstellung aus: Behaviour Design von Ash Donaldson

Die oben verbildlichte Zwei-Prozess-Theorie des Denkens unterscheidet zwischen dem schnellen, auf Intuition basierenden “System 1”, das für beinahe automatische Reaktionen “aus dem Bauch heraus” zuständig ist; sowie dem langsamen, sehr viel bewussteren und planvollen “System 2”, in dessen Rahmen wohldurchdachte Entscheidungen getroffen werden. Aus spielerischer Sicht erscheint es auf den ersten Blick sinnvoll, Action- und Geschicklichkeitsspiele eher ersterem, Strategie und Taktik eher zweiterem System zuzuordnen.

Allerdings handelt es sich bei reinen “System-2-Spielen” vielmehr um statische und nicht zeitkritische Puzzles, die tatsächlich ein vollständiges Durchdenken der Situation bis hin zur vollständigen Lösung – der “mathematisch korrekten” Antwort – ermöglichen. Von strategischen Entscheidungen geprägte Spiele sollen genau dies wiederum nicht tun. Stattdessen soll sich der Spieler in ihnen auf seine Intuition verlassen müssen, die durch grobe, allerdings durchaus bewusst geformte Argumente angeleitet wird. Langfristig steht dabei die Ausbildung und Verfeinerung ungefährer Faustregeln im Mittelpunkt. Ideal erscheint also eine Mischung beider Arten des Denkens: planvolle Intuition und erfahrungsbasiertes Entscheiden.

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Clash Royale: Damoklesschwert Free-to-play

April 27, 2016

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Die Grundausrichtung von Supercells neuestem Mobile-Hit Clash Royale ist vielversprechend. Im Prinzip handelt es sich um Echtzeitstrategie ohne all die Dinge, die im typischen RTS-Design Probleme machen. So ist etwa die Bedeutung von Präzision und Schnelligkeit beim Ausführen der Aktionen stark eingeschränkt, sodass die eigentlichen strategischen Entscheidungen nicht von reinen Geschicklichkeitsübungen dominiert werden. Auch die ökonomische Seite fällt deutlich geradliniger aus als bei anderen Genre-Vertretern. Es gibt erfreulicherweise keine repetitiven Makro-Routinen. Der Basisbau glänzt – bis auf die Verteidigungsanlagen – durch Abwesenheit und wird durch eine einzige, sich stetig automatisch ansammelnde Ressource (“Elixir”) ersetzt. Das “Abpausen” der immer gleichen “Build-Order” in jeder Partie entfällt somit ebenfalls.

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Spielerische Geschmacksverstärker

March 24, 2016
CallOfDutyParody

Auf zur Rettung der Spieleindustrie: Duty Calls!

Der Podcast Auf ein Bier der Herren Peschke und Gebauer hat sich, dank deren ehrlicher, kritischer und sachverständiger Art, binnen kürzester Zeit zu einem der besten Games-Podcasts überhaupt gemausert. In der bereits 48. Episode dreht sich alles ums “Aufleveln” und extrinsische Motivatoren im Allgemeinen. Psychologisch wirksame Belohnungssysteme wie Erfahrungsbalken, Achievements oder Rangfolgen haben in vielen modernen Spielen die Vorherrschaft in der Kategorie Fortschritt vollkommen an sich gerissen.

Spielerisch gehaltvoll sind diese Ego-Krücken natürlich nicht. Treffenderweise wird ihre Rolle daher im Laufe der Episode mit Geschmacksverstärkern aus der Lebensmittelindustrie verglichen. Sie sorgen durch die Befriedigung oberflächlicher Bedürfnisse für anhaltenden und wiederholten Konsum, schaden dem Endkunden letztlich jedoch. Die Produkte werden “gemocht”, aber aus schlechten Gründen.

Häufig wird die Verantwortung für die Dominanz der extrinsischen Motivation in der aktuellen Spielelandschaft schlicht “modernem” beziehungsweise zahlengetriebenem Game-Design und der Verwässerung des Mediums zugunsten der Massentauglichkeit zugeschrieben. Das ist grundsätzlich auch nicht falsch. Ein weiterer entscheidender und oft übersehener Grund für diese Entwicklung besteht jedoch in der Innovationsarmut innerhalb der Industrie.

Wie zuvor beschrieben fußt das einzigartige Potenzial des Mediums auf der Sichtbarmachung komplexer Denk- und Lernprozesse. Bei den allermeisten Spielen der letzten Jahre handelt es sich allerdings um enorm unoriginelle Designs. Daraus ergibt sich wiederum das fundamentale Problem, dass die potenzielle Bereicherung, die sie anbieten könnten, bereits durch zuvor erschienene Titel abgedeckt wurde. Die Spieler haben also längst den iterativen Lernprozess durchlaufen, der zur Erzeugung spielmechanischer Interessantheit nötig wäre.

Wer ein Spiel der aktuellen Batman-Reihe hinter sich hat, der hat effektiv auch die weiteren Teile der Serie sowie sehr ähnliche Titel wie Shadow of Mordor bereits gemeistert. Noch deutlicher werden die Parallelen im Shooter-Genre, das vor übertragbaren Skills – sprich vor sich extrem ähnelnden Regelwerken – nur so strotzt. Auch 3rd-Person-Actionspiele der Marke Uncharted oder Tomb Raider machen sich regelmäßig gegenseitig den spielerischen Mehrwert streitig; von den mittlerweile bis in alle Ecken verbreiteten Plattformern ganz zu schweigen.

Wirklich neuartige Regelwerke mit noch nicht weitgehend erforschten und vor allem vom Großteil der Spielerschaft längst beherrschten Kernmechanismen sind enorm selten geworden. Und genau deshalb brauchen die meisten modernen Titel tatsächlich die besagten Karotten, die sie dem Spieler kontinuierlich vor die virtuelle Nase hängen können. Explizite Fortschrittssysteme täuschen den echten spielerischen (Skill-)Fortschritt, den es aus den genannten Gründen nur für die wenigsten Spieler überhaupt noch geben kann, vor. Auf den ersten Blick scheint es so, als würde das Versprechen des Mediums über eine interessante interaktive Erfahrung eingelöst. Schon unmittelbar unter der Oberfläche sieht es diesbezüglich jedoch zappenduster aus.

Das Bedenklichste an dieser Entwicklung ist das Eigenleben, welches das Bedürfnis nach “Unlocks” und “Level-ups” mittlerweile entwickelt hat. Selbst bei originellen Titeln, die ernsthaft versuchen, das Medium nach vorne zu bringen und eine bestehende Lücke im Reich interaktiver Unterhaltung zu schließen, werden aufgesetzte Belohnungssysteme heutzutage mehr und mehr “vermisst”, sofern sie nicht existieren. “Da gibt es ja gar keinen Progress”, so zunächst die Annahme. Der Gedanke, dass Fortschritt auch im Spielen selbst bestehen kann, erscheint weiten Teilen der heutigen Gamer-Gemeinde abwegig.

“Früher ging es doch auch ohne”, bemerkt Peschke während der Episode. Die Vergangenheit können und sollten wir nicht zurückholen, uns jedoch für eine gehaltvollere und gesündere Zukunft einsetzen. Für eine Spielelandschaft, in der wieder kreative Hauptgänge serviert werden und nicht bloß Massen von betäubten Glutamat-Junkies am Erfahrungspunkte-Tropf hängen.


Muss Gameplay fordern?

February 25, 2016

DSHeaderc

Einige Spiele brüsten sich heutzutage in ihren Pressetexten mit einem hohen Schwierigkeitsgrad. So bewirbt beispielsweise Subset Games seinen Indie-Hit FTL mit der “ständigen Bedrohung durch die Niederlage”. Cellar Door Games behauptet von seinem Plattformer Rogue Legacy: “Dieses Spiel ist SCHWER!”. Auch das Vorzeige-Action-RPG Dark Souls sei “extrem tiefsinnig, finster und schwer”. Bei The Impossible Game ist sogar gleich der Name Programm. Die Werbetauglichkeit dieser auf den ersten Blick durchaus abschreckend wirkenden Aussagen liegt nicht nur im unter sogenannten “Hardcore-Spielern” weit verbreiteten Elitarismus begründet, sondern deutet darüber hinaus darauf hin, dass die betreffenden Entwickler ein Kernelement ihres Mediums korrekt identifiziert haben, das in der modernen Spielelandschaft beinahe in völlige Vergessenheit geraten ist: forderndes Gameplay.

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Nostalgie als Design-Ansatz

February 11, 2016

ResiRemake

Immer wieder sprießen Remakes großer Titel längst vergangener Zeiten aus dem Boden und versuchen, ehemalige Fans anhand nostalgischer Gefühle zu reaktivieren. Noch einen Schritt weiter geht die Strömung der Retro-Games, die gewissermaßen auf eine “Schein-Nostalgie” bei der breiten Masse setzt, indem sie durch altmodische audiovisuelle und spielerische Elemente den Charme einer ganzen Ära früherer Tage heraufbeschwört. Angesichts des Erfolges solcher Ansätze stellt sich die Frage: War früher wirklich alles besser? Es folgen einige Anmerkungen dazu, was von nostalgischen Gefühlen im Allgemeinen und deren bewusster Ausnutzung aus Design-Sicht zu halten ist.

Das nostalgische Vorurteil verspricht, dass sich durch die erneute Interaktion mit einem Objekt, das in der Vergangenheit positive Empfindungen hervorrufen konnte, diese Gefühle erneut einstellen. Nicht selten ist in der Praxis genau das Gegenteil der Fall und die “Magie” der Erinnerung angesichts mittlerweile – durch allgemeine technologische und philosophische Fortschritte sowie die gewachsene Weisheit des Konsumenten – offensichtlich gewordener Schwächen schnell verflogen. Dennoch ist der Wille, das Objekt nach wie vor zu mögen, vergleichsweise groß. Das vergangene Urteil soll als “schon immer korrekt” bestätigt, der Zauber der Kindheit um jeden Preis zurückgeholt werden.

Aus Game-Design-Sicht kann die Auslösung solcher Empfindungen bei der Spielerschaft lediglich dazu dienen, die Wahrnehmung des Spiels als das, was es tatsächlich ist, zu vernebeln. Nostalgie blendet mit ihrer irrationalen Strahlkraft und lässt Spieler über Design-Entscheidungen hinwegsehen, die sich mittlerweile als klare Schwächen und Fehler herausgestellt haben. Spieler werden hier also mit dem Versprechen der Erweckung vergangener Hochgefühle gelockt und so dazu gebracht, mit etwas Minderwertigerem zu interagieren, als sie es bei klarem Verstand zu tun bereit wären. Aus finanzieller Sicht möglicherweise nützlich, lässt sich der Ansatz künstlerisch bestenfalls als fragwürdig bezeichnen.

Umgekehrt ist es aus Spielersicht natürlich ratsam, da schlicht am gesündesten, bei jedem Titel stets nur das zu beurteilen, was er konkret spielerisch bietet, und sich von einer verzerrten Wahrnehmung und jeglichen “imaginären Boni” freizumachen. Denn in Wahrheit gilt doch: Ist ein Spiel an sich von wert, dann braucht es den psychologischen Trick der Nostalgie ganz sicher nicht.

 


Bedeutsame Interaktivität und Let’s Plays

January 7, 2016

Der YouTube-Channel “Games As Literature” startet mit einer reichlich absurden Frage ins Jahr 2016: Ist Interaktivität wirklich wichtig für Spiele? Schon am bloßen Unterfangen, die definierende Eigenschaft des Mediums infrage zu stellen, lässt sich erkennen, dass der Kanal sich üblicherweise stark auf erzählende Titel konzentriert. Doch obwohl auch diesmal ausschließlich storylastige Spiele wie The Last of Us oder The Walking Dead als Beispiele angeführt werden, wird bereits nach wenigen Minuten klar, dass sich der Meinungsbeitrag eindeutig pro Interaktivität und Gameplay ausspricht.

Seltsam ist es dennoch, dass immer wieder gerade diejenigen Spiele genannt werden, für deren Ablauf der Spieler kaum eine Rolle spielt. Ein Kampagnendurchlauf von Call of Duty wird für jeden Spieler exakt gleich sein. Bei The Last of Us mag es kleinere Abweichungen im Vorgehen in den einzelnen Abschnitten geben. Wirklich bedeutsam für die Gesamterfahrung sind diese jedoch nicht. Und auch wenn The Walking Dead immer wieder mit seinen weitreichenden Story-Entscheidungen prahlt, so sind diese letztlich – zwecks Gewährleistung einer vernünftigen und konsistenten Geschichte – weniger Einflussreich als es den Anschein hat und bringen eine Reihe weiterer Probleme mit sich.

In diesen Spielen ist die Interaktivität tatsächlich bloß das “Gimmick”, das sie laut obigem Video nicht sein kann und darf. Sie ist kein “unabdingbarer und einzigartiger Teil der Erfahrung”, sondern trivial bis kaum noch vorhanden. Und genau das ist der Grund, warum viele moderne Videospiele so gut als “Let’s Plays” – und auch dieses Phänomen wird im Video angesprochen – funktionieren. Das bloße Ansehen reicht aus, um einen Großteil des Werkes zu erfassen. Stellenweise, wenn das Gameplay lediglich noch als nerviger Störfaktor zwischen den Storyfortschritten fungiert, wird es die Qualität des Gesamtprodukts sogar steigern.

Ein Grund, warum ein Spiel als Let’s-Play-Erfahrung funktionieren kann, besteht also darin, dass es kaum bis wenig Wertigkeit aus seinem Gameplay zieht.

Oder um es mit Warren Spector zu sagen:

If the puppet on the screen is the important thing to you, just go make a movie. […]

The key to the future of gaming lies in moving away from the ways in which we are like other media.


Galak-Z: Beispielhafte Emergenz

November 13, 2015

GalakZ

Vor wenigen Wochen erschien Galak-Z für PC und Playstation 4. Im Grunde handelt es sich um ein solides, aber nicht weiter spektakuläres Roguelike-“Shoot ’em up” aus der Vogelperspektive. Mit Laserkanone und Raketen ausgerüstet geht es von einem Dogfight zum nächsten. Das eigene Raumschiff lässt sich dazwischen mit in den zufallsgenerierten Levels zu findenden Upgrades verbessern. Das Spiel ist in fünf Kapitel mit steigendem Schwierigkeitsgrad unterteilt, die gewissermaßen als langfristige Speicherpunkte dienen und dafür sorgen, dass erfahrene Spieler nach dem virtuellen Ableben nicht wieder ganz von vorn anfangen müssen und unterfordert werden, sondern direkt in höheren Stufen einsteigen können.

Erwähnenswert aus Game-Design-Sicht wird das Comic-Weltraumspektakel ab Kapitel 2. Ab diesem Zeitpunkt ist es dem Spieler möglich, jederzeit zwischen Raumschiff- und Mech-Form zu wechseln. In letzterer wird aus dem stark an einen X-Wing erinnernden Raumgleiter kurzerhand ein Roboter mit Armen, Beinen, Düsenantrieb und – wie könnte es anders sein – einem Laserschwert. Aus dem Shooter wird ein “Hack and Slay”. Beide Spielarten befinden sich ab diesem Zeitpunkt im ständigen Wechsel. Je nach Situation ist es manchmal sinnvoller, in den Nahkampf zu gehen, und in anderen Fällen, die Gegner aus der Ferne zu beackern. Allein aus dem innerhalb von Sekundenbruchteilen möglichen Umschalten ergeben sich so enorm viele Kombinationsmöglichkeiten.

Doch das wohl interessanteste Feature des Mechs ist der Greifarm, mit dem sich Gegner kurzzeitig packen und heranziehen lassen, sodass sie sich unmittelbar in Schwertreichweite befinden. Zwar befreien sie sich nach wenigen Sekunden, doch zuvor können sie auch manuell weggeschleudert werden – beispielsweise in andere feindliche Schiffe hinein, wodurch wiederum beide Schaden nehmen. Doch damit nicht genug. Im Weltraum treiben zahllose Asteroiden umher, die sich natürlich ebenfalls greifen und zum nächsten Gefecht mitbringen lassen. Es ist sogar möglich, den Schiffsantrieb frühzeitig auszuschalten, sich hinter den Felsbrocken zu verstecken und so besonders gefährliche Konfrontationen zu vermeiden.

In den “Dungeons” des Spiels, die durch Raumstationen oder eng verwinkelte Höhlensysteme abgebildet werden, existieren diverse weitere Umgebungselemente, mit denen auf diese Weise interagiert werden kann: Explosive Container löschen beispielsweise ganze Feindesgruppen auf einmal aus, freiliegende Stromleitungen deaktivieren – bei Unachtsamkeit gerne auch die eigenen – Schilde, Gasleitungen lassen sich beschädigen und so spontan zu Quasi-Barrieren im Level machen. Nochmals kombinatorisch interessanter wird dies alles, wenn die drei verschiedenen feindlichen Fraktionen ins Spiel kommen, die sich regelmäßig zufällig im Level begegnen und gegenseitig angreifen. Alternativ kann natürlich durch gezielte “Lockrufe” nachgeholfen werden.

In einem Wort: Emergenz. Die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten seiner Spielmechanismen ist es, die Galak-Z Tiefe verleiht und zu weit mehr als “einem weiteren Space-Shooter” macht. Dank einer relativ simplen Steuerung und klarer Regeln (exemplarisch: vier Hitpoints statt zehntausend) bleibt der initiale Lernaufwand ebenfalls im Rahmen, womit auch der Leitspruch der Eleganz (“Easy to learn, hard to master”) Erfüllung findet. Natürlich handelt es sich im Kern nicht um Hexenwerk oder gar ein revolutionäres Spielprinzip. Dennoch beweist der Titel von 17-Bit, die zuvor schon für das ordentliche Skulls of the Shogun verantwortlich zeichneten, was auch aus bewährten Genres noch herauszuholen ist, wenn einige zentrale Game-Design-Prinzipien (hier insbesondere Emergenz, Transparenz und Eleganz) konsequent befolgt werden.


Spiele und Kunst

October 1, 2015

Cover

Weltweit spukt zurzeit ein Gespenst durch die Spielerschaften. Das Gespenst von Spielen, Kunst und deren Beziehung zueinander. Ins Leben gerufen – oder vielmehr wiederbelebt – wurde dieses Ungetüm von Phil Owens Buch “WTF Is Wrong With Video Games?”. Die Aufmerksamkeit der Community erlangte dieses wiederum durch einen “Artikel” auf Polygon, der sich bei genauerem Hinsehen schlicht als das erste Kapitel besagten Buches und somit Werbemaßnahme entpuppt. Hunderte Kommentare unter dem Beitrag und Diskussionen quer durch alle einschlägigen Foren blieben natürlich dennoch nicht aus.

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Her Story: Zum Glück kein Spiel

July 18, 2015

Vor wenigen Wochen erschien Her Story für PC und iOS. Es handelt sich um eine in dieser Konsequenz selten gesehene Ausformung des Konzepts der interaktiven Geschichte.

HerStory

Im Grunde besteht das “Spiel” lediglich aus einer Sammlung kurzer Videoschnipsel aus diversen polizeilichen Verhören einer Frau. Der “Spieler” bekommt dazu eine Suchmaschine an die Hand, die es erlaubt, diese Clips aufzuspüren, indem ein in ihnen vorkommendest Wort eingegeben wird. Das ist im Grunde auch schon alles, was Her Story an Interaktion beinhaltet. Diese Reduziertheit ist allerdings auch dessen größte Stärke.

Das Potenzial interaktiven Storytellings liegt darin, sich eine Geschichte selbst “zusammenzureimen”. Ein klassisches Beispiel sind natürlich Detektivgeschichten und genau eine solche ist auch Her Story. Zwar geht es der Spielfigur letztlich nicht wirklich um die Lösung eines Falls, doch dieser Umstand gehört zur sich stückchenweise ergebenden Auflösung der zunächst enorm vertrackt wirkenden Situation.

Auch wenn Kleinigkeiten bewusst nicht vollständig durch die Clips erklärt werden, bekommt der Spieler über die Zeit ein immer klareres Bild davon, was vorgefallen ist. Es werden Vermutungen angestellt und wieder verworfen. Notizen helfen beim Überblick über die beteiligten Personen und möglicherweise wichtige Suchbegriffe. Letztere sind besser, je seltener sie in den Clips vorkommen, da immer nur fünf gleichzeitig angezeigt werden können. Ein wahlloses Suchen nach “and” oder “you” wird also nicht sehr weit führen. Stattdessen müssen die Hintergründe verstanden werden, um zur Vervollständigung des narrativen Puzzles zu gelangen.

Das Brillante: Bei Her Story lenkt nichts ab. Keine erzwungenen spielerischen Mechanismen stehen zwischen dem Publikum und dem aktiven Erleben der Geschichte. Es gibt keine Störmomente der Marke “Toll ist es nicht, aber ich mache es eben, damit die Story weitergeht”. Genau wie aufgesetzte Handlungsstränge bei vielen an sich auf die Mechanik fokussierten Spielen lediglich stören und den Flow beeinträchtigen, gilt dies auch umgekehrt. So und nicht anders kann interaktive Narration funktionieren. Klare Empfehlung für Story-Liebhaber und jeden, der sich im Ansatz akademisch mit Interaktionsdesign auseinandersetzen möchte!