Go-Spieler kämpfen mit der Kalkulation

October 10, 2016

In einem Reddit-Forum zu Go (auch bekannt als Baduk) entbrannte vor Kurzem eine sehr interessante Diskussion. Ein passionierter Spieler des abstrakten Klassikers beschrieb das “Phänomen”, dass ihm die Fleißarbeit des Vorausdenkens unzähliger Züge ab der Mitte des Spiels immer mühseliger wird. Überraschend ist das nicht, schließlich handelt es sich um ein Spiel mit perfekter Information.

Sogleich waren Mitglieder des Subreddits zur Stelle mit allerlei Tipps, wie man sich eben doch zum lästigen Durchrechnen der Zugoptionen zwingen könne. Für Außenstehende ergibt dies ein recht skurriles Bild. Warum sollte man diesen Selbstzwang denn überhaupt wollen? Natürlich ist es zunächst immer auch Arbeit, ein Spiel zu erlernen, aber in diesem Fall ging es um Fortgeschrittene bis hin zu Veteranen.

Auf die Idee, dass es sich bei etwas, zu dem man sich immer und immer wieder, beinahe selbstquälerisch, durchringen muss, um ein fundamentales Problem im Spieldesign handeln könnte, kam kaum einer der Diskutanten. Der User Toad_Racer (übrigens der aktuell wohl beste Auro-Spieler der Welt) brachte es mit seinem Beitrag dann aber doch noch sehr treffend auf den Punkt:

How about embracing the aversion? The goal should not be to play a particular game well at all costs, but rather to enrich your life through engaging gameplay. It seems to me that analysis through methodical tree traversal isn’t a very efficient or engaging way to extract value from an interactive system. Instead, I think games should push their players towards intuitively evaluating gamestates by preventing them from looking ahead too far with a designed “information horizon”.


Atlas Reactor: Neue Taktik-MOBA-Hoffnung!

August 11, 2016

Es war tragisch als die Entwicklung von Aerena, einem der Spiele des Jahres 2014, eingestellt wurde. Mittlerweile hat Cliffhanger Games die Server endgültig abgeschaltet. Grundsätzlich ergibt die Idee eines rundenbasierten MOBAs mit allerlei Helden und Spezialfähigkeiten zumindest auf dem Papier jedoch nach wie vor Sinn. Schließlich kann, im Gegensatz zu den großen Echtzeit-Vorbildern (LoL, DotA), jeglicher Twitch-Skill außen vor gelassen und der Fokus ganz auf die Entscheidungen der Spieler gelegt werden.

AtlasReactor

Im weiteren Verlauf dieses Jahres schickt sich nun ein neuer Titel an, den verwaisten Thron der Taktik-MOBAs zu erobern: Atlas Reactor. Im Gegensatz zu Aerena treten hier zwei Viererteams gegeneinander an und jeder Spieler übernimmt nur einen Charakter. Durch stets simultanes Ziehen aller Beteiligten soll die “Downtime”, in der auf andere Spieler gewartet werden muss, minimiert werden.

Auf den ersten Blick sind zwei Warnsignale auszumachen, warum dieses Unterfangen scheitern könnte: Erstens stecken hinter dem Titel die MMO-Riesen von Trion (Rift, Archeage), die bei kritischen Spielern vor allem für ihre fragwürdigen Geschäftsmodelle (Stichwort “Pay To Win”) berüchtigt sind. Allerdings kann hierbei seit einigen Wochen vollständige Entwarnung gegeben werden, denn das vergleichsweise kleine Team hinter Atlas Reactor kündigte an, ähnlich wie Blizzards Overwatch auf ein “Buy-to-play”-Modell zu setzen. Somit sollten jegliche Free-to-play-Querelen aus dem Weg geräumt sein.

Das zweite potenzielle Problem liegt im Gameplay selbst begraben – nämlich in den erwähnten gleichzeitigen Zügen aller Spieler. Dieses Prinzip führt zwangsläufig Zufall, Ratespiele und Chaos ins System ein, worunter die strategische Tiefe leidet. Mit einem recht cleveren Phasen-System, das in obigem Video vorgestellt wird, umgeht das Spiel jedoch zumindest die offensichtlichsten Probleme diesbezüglich.

Aktuell befindet sich Atlas Reactor in einer “Early-Access”-Beta, in die sich jederzeit eingekauft werden kann. In den nächsten Monaten soll dann der offizielle Launch folgen. Reinschauen lohnt sich schon jetzt. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Spielerzahlen sich besser entwickeln als im Falle von Aerena. Genügend Marketing-Budget dürfte diesmal vorhanden sein.


Her Story: Zum Glück kein Spiel

July 18, 2015

Vor wenigen Wochen erschien Her Story für PC und iOS. Es handelt sich um eine in dieser Konsequenz selten gesehene Ausformung des Konzepts der interaktiven Geschichte.

HerStory

Im Grunde besteht das “Spiel” lediglich aus einer Sammlung kurzer Videoschnipsel aus diversen polizeilichen Verhören einer Frau. Der “Spieler” bekommt dazu eine Suchmaschine an die Hand, die es erlaubt, diese Clips aufzuspüren, indem ein in ihnen vorkommendest Wort eingegeben wird. Das ist im Grunde auch schon alles, was Her Story an Interaktion beinhaltet. Diese Reduziertheit ist allerdings auch dessen größte Stärke.

Das Potenzial interaktiven Storytellings liegt darin, sich eine Geschichte selbst “zusammenzureimen”. Ein klassisches Beispiel sind natürlich Detektivgeschichten und genau eine solche ist auch Her Story. Zwar geht es der Spielfigur letztlich nicht wirklich um die Lösung eines Falls, doch dieser Umstand gehört zur sich stückchenweise ergebenden Auflösung der zunächst enorm vertrackt wirkenden Situation.

Auch wenn Kleinigkeiten bewusst nicht vollständig durch die Clips erklärt werden, bekommt der Spieler über die Zeit ein immer klareres Bild davon, was vorgefallen ist. Es werden Vermutungen angestellt und wieder verworfen. Notizen helfen beim Überblick über die beteiligten Personen und möglicherweise wichtige Suchbegriffe. Letztere sind besser, je seltener sie in den Clips vorkommen, da immer nur fünf gleichzeitig angezeigt werden können. Ein wahlloses Suchen nach “and” oder “you” wird also nicht sehr weit führen. Stattdessen müssen die Hintergründe verstanden werden, um zur Vervollständigung des narrativen Puzzles zu gelangen.

Das Brillante: Bei Her Story lenkt nichts ab. Keine erzwungenen spielerischen Mechanismen stehen zwischen dem Publikum und dem aktiven Erleben der Geschichte. Es gibt keine Störmomente der Marke “Toll ist es nicht, aber ich mache es eben, damit die Story weitergeht”. Genau wie aufgesetzte Handlungsstränge bei vielen an sich auf die Mechanik fokussierten Spielen lediglich stören und den Flow beeinträchtigen, gilt dies auch umgekehrt. So und nicht anders kann interaktive Narration funktionieren. Klare Empfehlung für Story-Liebhaber und jeden, der sich im Ansatz akademisch mit Interaktionsdesign auseinandersetzen möchte!


Ben Brode: Müll ist gut für Hearthstone!

June 18, 2015
Brode

Ben Brode: Dem Wahnsinn nahe?

Der wohl erfolgreichste aller Hearthstone-Streamer, Octavian “Kripparrian” Morosan, unterbreitete den Designern bei Blizzard kürzlich per YouTube-Video einen Vorschlag. Karten, die derart schlecht sind, dass sie praktisch niemals in irgendeinem vernünftig zusammengestellten Deck vorkommen würden, sollten – so Morosans Idee – verstärkt werden. Auf den ersten Blick kein schlechter Einfall. Unter Game-Designern nennt man das schlicht Balancing. Bei Blizzard gehört es sich scheinbar jedoch nicht, denn Hearthstones Senior Game Designer Ben Brode antwortete kurze Zeit später ebenfalls per Videobotschaft und präsentierte seine Gegenargumente, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll.

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Kurze Dreifachempfehlung

October 23, 2014

Ist die Spielgattung der Entscheidungswettbewerbe tatsächlich langsam aber sicher auf dem Vormarsch? Zumindest das zuletzt immer häufigere Auftauchen digitaler Originale aus diesem Genre könnte darauf hindeuten. Nicht länger sind passionierte Strategen auf größtenteils iOS-exklusive Brettspielumsetzungen angewiesen, um den Durst nach durchweg gutem Gameplay zu stillen. Beweise gefällig?

AerenaAerena: Schon seit Mitte des Jahres ist dieses “Free-to-play”-Taktikspiel auf Steam verfügbar. Seither wurden unzählige Balancing-Probleme behoben, die Menüs sind deutlich gradliniger geworden und die Kampfanimationen laufen erfreulicherweise um ein Vielfaches schneller ab. Aerena hat sich somit mit seinem Hearthstone-artigen Online-Rankingsystem und einer treuen Spielerschaft zu einem grundsoliden Titel für Rundenstrategen gemausert. Natürlich nervt das Geschäftsmodell. Für sich definitiv lohnende und verglichen mit den meisten anderen F2P-Games sehr günstige 30-40€ sind jedoch beinahe alle Inhalte sofort zu erstehen, ganz ohne “Grind”. (Link)

AuroAuro: Nach mittlerweile fast 2 Jahren intensiven Spielens kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass es sich hier meines Erachtens um das beste Single-Player-Spiel aller Zeiten handelt. Die Vielfalt der taktischen Möglichkeiten ist enorm, die Variation der Herausforderungen praktisch unendlich. Dazu lässt sich eine volle Partie in durchschnittlich 10 Minuten spielen, verschwendet dabei kaum eine Runde und der dynamische Schwierigkeitsgrad sorgt dafür, dass die Siegquote sich stets um 50 % bewegt (Stichwort: “Flow”). Bis auf ein paar kleine Bugs, die jedoch seit Android-Relase durch sehr  regelmäßige Updates bekämpft werden, macht Auro alles richtig. Bleibt nur zu hoffen, dass auch die Versionen für iOS und  PC möglichst bald erscheinen! (Link)

PrismataGuidePrismata: Das selbsternannte “rundenbasierte Starcraft ohne Map” befindet sich zur Zeit in der geschlossenen Betaphase. Für einen Key kann sich unter anderem im hauseigenen Subreddit, während der regelmäßigen Live-Streams der Entwickler sowie durch eine Newsletter-Anmeldung beworben werden. Tatsächlich handelt es sich hier um eine Mischung aus Schach (es gibt keinen Zufall und kein Glück, dafür perfekte und offene Information), Dominion (jede Partie enthält andere Einheiten und fordert die Anpassungsfähigkeit der Spieler), Magic: The Gathering (Ressourcen müssen effizient genutzt werden, um Einheiten ins Spiel zu bringen) und eben Starcraft (das Triumvirat aus Ökonomie, Technologie und Krieg steht im Fokus). Die Partien sind kurz, die Spieltiefe gigantisch. Mittlerweile zehntausende Interessenten lassen zudem auf eines der spannendsten E-Sports-Phänomene unserer Zeit hoffen. (Link)

So darf es gerne weitergehen! 🙂


Ludite Sam rezensiert Auro

October 5, 2014

I want to talk to you about a game where what you do is actually unlike anything else I’ve ever played.

In seiner ausführlichen Analyse des kürzlich für Android erschienenen (bald auch für iOS und PC kommenden) Auro: A Monster-Bumping Adventure geht Ludite Sam auf alle wichtigen Game-Design-Errungenschaften des taktischen Dungeon-Crawlers ein. Der enorm starke Kernmechanismus des “Bumping” und dessen Verknüpfung zu jedem einzelnen Spielelement wird – unter dem von Lead-Designer Keith Burgun geprägten Begriff des “Clockwork Design” – ebenso hervorgehoben wie das innovative und durchdachte Scoring-System, das dafür sorgt, dass die spektakulärsten und interessantesten Züge auch stets die spielmechanisch optimalsten sind. Zudem wird die Einzigartigkeit Auros als ernsthaft “kompetitives Single-Player-Spiel” hervorgehoben. Als solches funktioniert es schließlich nur dank eines Elo-artigen Ranking-Systems, das den Schwierigkeitsgrad stets an die Fähigkeiten des jeweiligen Spielers anpasst.

Wer mehr Details will, sollte unbedingt reinlesen!

In a way, Auro is like a statement: “This is what video games could be.”


iOS-Tipp: Catchup

August 9, 2014

CatchupKurze Eilmeldung! Vor wenigen Tagen ist Catchup im App Store erschienen. Dabei handelt es sich um ein abstraktes Verbindungsspiel von Nick Bentley. Dieser betreibt einen der interessantesten und wertvollsten Game-Design-Blogs überhaupt (auf dem er sich auch ausführlich und kritisch mit seinem Schaffen auseinandersetzt).

Dementsprechend besitzt Catchup auch genau die Eigenschaften, die man von einem gut designten Spiel erwarten kann: Es ist enorm elegant, innerhalb einer Minute zu erlernen, entfaltet jedoch eine gewaltige Spieltiefe. Es ist schnell, effizient und frei von jeglichen Ablenkungen vom Kernmechanismus – dem Platzieren von Hexagonen zur Erschaffung möglichst großer zusammenhängender Gruppen. Der geniale Kniff: Der “Catchup”-Mechanismus. Wer seine Gruppe größer macht, schenkt dem Gegner Bonus-Steine. Es geht um Timing, es geht um Positionierung und vor allem um das Zusammenspiel dieser beiden Elemente. Es entwickelt sich ein wunderbares Duell voller schwieriger Entscheidungen und strategischer Abwägungen. Jedem ernsthaften Strategen sei der Download ans Herz gelegt!

Digital umgesetzt wurde das Spiel übrigens von Martin Grider, welcher zuvor schon für die absolut großartige Umsetzung von For The Win zuständig war. Catchup setzt die Messlatte jedoch noch deutlich höher: Online-Multiplayer, eine sich dynamisch an den Spieler anpassende und extrem gute KI, ein vollkommen problemfreies Interface, detaillierte Statistiken – eben alles, was der geneigte Stratege so braucht. Ganz große Kunst!

 


The Walking Dead: Ein Spiel, das keines sein sollte

July 27, 2014

Clem

Vorab: The Walking Dead (TWD) von Telltale Games erzählt eine spannende und emotional mitreißende Handlung voller gut geschriebener Dialoge und vielschichtiger Charaktere. Es ist hochinteressant und macht großen Spaß, diese zu erleben.

Im Folgenden soll exemplarisch anhand der kürzlich erschienenen vierten Episode der zweiten Staffel gezeigt werden, dass TWD ganz ohne Gameplay noch viel besser wäre.

Vorsicht, Spoiler!

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Abraum

May 29, 2014

Artikel: “Watch Dogs: Erfolgreichster Launch in der Ubisoft-Geschichte”

Ein Kommentar: “Die BILD ist die erfolgreichste Tageszeitung Europas.”

Sehr richtig. Audiovisuelles Spektakel behält – trotz fragwürdiger Qualität – die Oberhand in Sachen Popularität. Es wird ganz unmittelbar der Befriedigungsschalter im Gehirn betätigt. Diese oberflächliche Ebene der direkt wahrnehmbaren Genugtuung reicht in dieser Gesellschaft vielen schon aus. Wirklich gutes und tiefes Gameplay beziehungsweise ein Verständnis desselben müsste sich hingegen erst erarbeitet werden.

Mit Film, Musik und jeder anderen Kunstform ist es nicht anders: Wer seinem Leben in irgendeiner Form an Wert hinzufügen möchte, der muss eben “tiefer graben”. Von nichts kommt nichts.

In diesem Sinne:

Wir graben unter Tage,
denn wir haben mit der Welt dort oben nichts gemein.
Im Schacht unter Tage,
denn wir suchen nach der Wahrheit in Lehm und Stein.
 
Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt!
Und leider ist nicht alles tief, was schwarz ist – Nein!
 
[…]
 
Und so manches Schwarz gibt vor, tief zu sein.
Doch setzen wir den Bohrer an, treffen wir auf schnöden Stein!
 
[…]
 
Immer weiter, immer tiefer – Abraum!
 

(aus: “Untertage”  von Stillste Stund)


Warum spielen wir wirklich?

May 8, 2014

LoL

Keine Frage, Spiele motivieren wie kaum etwas anderes. Natürlich gibt es im Einzelfall potenziell unendlich viele Gründe, Zeit in ein Spiel zu investieren. Diverse Verhaltensanalysen aus der Psychologie zeigen jedoch schnell, dass diese Gründe nicht unbedingt alle nach den gleichen Gesichtspunkten zu betrachten sind. Dabei gewinnt insbesondere die Selbstbestimmungstheorie der Motivation in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Daniel Pinks “Drive” ist, basierend auf ebenjener von Edward L. Deci und Richard M. Ryan begründeten Theorie, zum Bestseller und Referenzwerk geworden. Eine der fundamentalen Aussagen ist dabei, dass die intrinsische Motivation – der Eigenantrieb der jeweiligen Person – stets potenziell stärker ist als die extrinsische Motivation durch äußere Anreize. Letztere wird von Pink als Tretmühle (“carrot-and-stick”) abgetan. Erstere hingegen ist nach Deci und Ryan nur durch die Befriedigung der drei angeborenen menschlichen Grundbedürfnisse zu erreichen: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Was das mit Computer- und Videospielen zu tun hat? Eine ganze Menge.

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