Artifact, das neue Sammelkartenspiel von Valve und Magic-Erfinder Richard Garfield, verweigert seinen Spielern den Glutamat-Tropf. Es gibt praktisch keine Progression, keine ständige Karotte vor der Nase, keine regelmäßig garantierten Belohnungen für die investierte Zeit. Und ein nicht unerheblicher Teil des Publikums flippt ob des Fehlens dieser heutzutage absolut allgegenwärtigen Mechanismen völlig aus.
Spielerische Geschmacksverstärker
March 24, 2016
Auf zur Rettung der Spieleindustrie: Duty Calls!
Der Podcast Auf ein Bier der Herren Peschke und Gebauer hat sich, dank deren ehrlicher, kritischer und sachverständiger Art, binnen kürzester Zeit zu einem der besten Games-Podcasts überhaupt gemausert. In der bereits 48. Episode dreht sich alles ums “Aufleveln” und extrinsische Motivatoren im Allgemeinen. Psychologisch wirksame Belohnungssysteme wie Erfahrungsbalken, Achievements oder Rangfolgen haben in vielen modernen Spielen die Vorherrschaft in der Kategorie Fortschritt vollkommen an sich gerissen.
Spielerisch gehaltvoll sind diese Ego-Krücken natürlich nicht. Treffenderweise wird ihre Rolle daher im Laufe der Episode mit Geschmacksverstärkern aus der Lebensmittelindustrie verglichen. Sie sorgen durch die Befriedigung oberflächlicher Bedürfnisse für anhaltenden und wiederholten Konsum, schaden dem Endkunden letztlich jedoch. Die Produkte werden “gemocht”, aber aus schlechten Gründen.
Häufig wird die Verantwortung für die Dominanz der extrinsischen Motivation in der aktuellen Spielelandschaft schlicht “modernem” beziehungsweise zahlengetriebenem Game-Design und der Verwässerung des Mediums zugunsten der Massentauglichkeit zugeschrieben. Das ist grundsätzlich auch nicht falsch. Ein weiterer entscheidender und oft übersehener Grund für diese Entwicklung besteht jedoch in der Innovationsarmut innerhalb der Industrie.
Wie zuvor beschrieben fußt das einzigartige Potenzial des Mediums auf der Sichtbarmachung komplexer Denk- und Lernprozesse. Bei den allermeisten Spielen der letzten Jahre handelt es sich allerdings um enorm unoriginelle Designs. Daraus ergibt sich wiederum das fundamentale Problem, dass die potenzielle Bereicherung, die sie anbieten könnten, bereits durch zuvor erschienene Titel abgedeckt wurde. Die Spieler haben also längst den iterativen Lernprozess durchlaufen, der zur Erzeugung spielmechanischer Interessantheit nötig wäre.
Wer ein Spiel der aktuellen Batman-Reihe hinter sich hat, der hat effektiv auch die weiteren Teile der Serie sowie sehr ähnliche Titel wie Shadow of Mordor bereits gemeistert. Noch deutlicher werden die Parallelen im Shooter-Genre, das vor übertragbaren Skills – sprich vor sich extrem ähnelnden Regelwerken – nur so strotzt. Auch 3rd-Person-Actionspiele der Marke Uncharted oder Tomb Raider machen sich regelmäßig gegenseitig den spielerischen Mehrwert streitig; von den mittlerweile bis in alle Ecken verbreiteten Plattformern ganz zu schweigen.
Wirklich neuartige Regelwerke mit noch nicht weitgehend erforschten und vor allem vom Großteil der Spielerschaft längst beherrschten Kernmechanismen sind enorm selten geworden. Und genau deshalb brauchen die meisten modernen Titel tatsächlich die besagten Karotten, die sie dem Spieler kontinuierlich vor die virtuelle Nase hängen können. Explizite Fortschrittssysteme täuschen den echten spielerischen (Skill-)Fortschritt, den es aus den genannten Gründen nur für die wenigsten Spieler überhaupt noch geben kann, vor. Auf den ersten Blick scheint es so, als würde das Versprechen des Mediums über eine interessante interaktive Erfahrung eingelöst. Schon unmittelbar unter der Oberfläche sieht es diesbezüglich jedoch zappenduster aus.
Das Bedenklichste an dieser Entwicklung ist das Eigenleben, welches das Bedürfnis nach “Unlocks” und “Level-ups” mittlerweile entwickelt hat. Selbst bei originellen Titeln, die ernsthaft versuchen, das Medium nach vorne zu bringen und eine bestehende Lücke im Reich interaktiver Unterhaltung zu schließen, werden aufgesetzte Belohnungssysteme heutzutage mehr und mehr “vermisst”, sofern sie nicht existieren. “Da gibt es ja gar keinen Progress”, so zunächst die Annahme. Der Gedanke, dass Fortschritt auch im Spielen selbst bestehen kann, erscheint weiten Teilen der heutigen Gamer-Gemeinde abwegig.
“Früher ging es doch auch ohne”, bemerkt Peschke während der Episode. Die Vergangenheit können und sollten wir nicht zurückholen, uns jedoch für eine gehaltvollere und gesündere Zukunft einsetzen. Für eine Spielelandschaft, in der wieder kreative Hauptgänge serviert werden und nicht bloß Massen von betäubten Glutamat-Junkies am Erfahrungspunkte-Tropf hängen.
Ein goldenes Zeitalter der Strategie?
September 9, 2014Auf der Game Developers Conference 2005 hielt Frank Lantz, Leiter des Game Centers der New York University und Game-Design-Vordenker, eine Wutrede über den Irrglauben, dass die totale Simulation und Immersion der nächste glorreiche Schritt in der Zukunft des Game-Designs sei. Im Anschluss eine leicht gekürzte Übersetzung, gefolgt von einer Betrachtung der aktuellen Relevanz.
Fortschrittssysteme in Spielen
March 28, 2014Angesichts der “Free-to-play”-Welle und der damit in vielen Fällen käuflichen Beschleunigung des spielerischen Fortschritts ist in Game-Design-Kreisen immer häufiger vom Schlagwort “Progress” zu lesen. Die Geschwindigkeit, mit der der Spieler vorankommen kann, wird stellenweise anhand psychologischer Betrachtungen und sogenannter Belohnungsintervalle festgelegt. Das Ziel: Den Spieler durch diese Belohnungen beziehungsweise deren Struktur idealerweise “für immer” an das Spiel binden, ihn also stetig neu motivieren. Letzteres ist zunächst wenig kontrovers. Schließlich ist Motivation für FarmVille genauso wichtig wie für Starcraft, Schach oder Tennis. Dennoch unterscheiden sich die jeweils vorhandenen Fortschrittssysteme fundamental voneinander. Deshalb sollen im Folgenden die möglichen Formen des “Fortschritts” in Spielen etwas genauer betrachtet, beschrieben und kritisch analysiert werden.
Nikolaustirade
December 6, 2013Dies ist eine Nachricht an alle intelligenten Wesen im Publikum.
Romane erzählen in erster Linie Geschichten. Die Schönheit der Sprache ist von Bedeutung, jedoch in aller Regel dem primären Zweck untergeordnet. Plot und Erzählung stehen im Vordergrund.
Filme erzählen in erster Linie Geschichten. Blockbuster kommen dennoch viel zu oft mit einer stupiden Handlung davon, indem sie die Gehirnkapazitäten des Publikums mit audiovisuellem Spektakel zuspammen. Lasst das nicht mehr mit euch machen! Danke.
Brettspiele sind Regelsysteme. Die Schönheit der Komponenten ist von Bedeutung, jedoch in der Regel der Spielmechanik untergeordnet.
Videospiele sind Regelsysteme. AAA-Produktionen kommen dennoch viel zu oft mit einer stupiden Spielmechanik davon, indem sie die Gehirne der Spieler mit audiovisuellem Spektakel vollspammen oder durch Induzierung suchtartigen Verhaltens gleich komplett abschalten. Lasst das nicht mehr mit euch machen! Danke.
Dies ist eine Nachricht an alle intelligenten Wesen unter den Künstlern.
Erschafft einen großartigen Kern – eine großartige Geschichte oder ein großartiges Regelsystem – und baut den Rest eures Werks unterstützend um diesen herum auf. Oder tut etwas völlig anderes. Aber täuscht dann auch nicht vor, dass es bei euch um Story oder Interaktion ginge. Hört einfach auf, die Welt schlechter zu machen!
Danke.
Ein Weg nach vorn: Bedeutsame Interaktion
November 8, 2013Zu Beginn einer Vorlesungsreihe, die er 2007 an der Universität von Texas hielt, sprach Warren Spector (Ultima Underworld, System Shock, Deus Ex) über seine Design-Prämisse: Der Fortschritt des Mediums Spiel sei geknüpft an das Erkennen und das Ausnutzen derjenigen Eigenschaften, die Spiele von allen anderen Medien unterscheiden. Diese Aussage scheint zunächst beinahe trivialerweise wahr zu sein. Gute Spiele müssen logischerweise genau das gut machen, was sie zu einem Spiel werden lässt. Dennoch lohnt es sich, an dieser Stelle ein wenig tiefer in die Materie einzusteigen und sich Gedanken darüber zu machen, was denn nun eigentlich Spiele zu etwas Besonderem, zu einem in der Tat einzigartigen und an sich erforschenswerten Medium macht. Dieser Ansatz läuft schließlich auf die Frage hinaus, was auf fundamentaler Ebene hinter Spielen als “ästhetische Form” (geprägt durch Frank Lantz, Leiter des Game Centers der New Yorker Universität) steckt und sie von anderen in diese Kategorie einzuordnenden Medien abhebt. Im Folgenden soll ein möglicher Ansatz zur Beantwortung dieser Frage präsentiert und zudem auf unter dieser Prämisse möglicherweise aufkommende Gefahren eingegangen werden.
Die Angst vor “mehr Geist”
September 17, 2013In den letzten Wochen habe ich einige mehr und einige weniger überarbeitete Artikel bei Gamersglobal veröffentlicht.
- Zocken ist mehr als ein Zeitvertreib
- No-Brainer und Brain-Burner
- Fundamentale Konflikte moderner Videospiele
Aus den teils ausgiebigen Diskussionen in den jeweiligen Kommentaren ergaben bzw. bestätigten sich einige Erkenntnisse zum Thema Videospieler und Game-Design.